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Müsli in Rosa und Chili in Hellblau

Erziehung Jungs sind wild und Mädchen schön. Über eine grassierende Form der Gleichmacherei

Illustration: Renate Wacker

von Almut Schnerring und Sascha Verlan

„Und fürs Kinderzimmer kaufen wir dann noch ein Trampolin, damit die Jungs sich öfter mal austoben können.“ Meine Nachbarin lehnt im Türrahmen ihrer neuen Wohnung, erzählt vom Umzug, ihre Tochter steht daneben und erfährt einmal mehr, dass ihre Brüder aus irgendeinem Grund größeren Anspruch auf ein Trampolin haben als sie selbst.

Eine Logik wird sie dahinter genauso wenig erkennen können wie ich, denn wenn sie bei uns zu Besuch ist, lässt sie kein Hüpf-Rutsch-Wipp-Gerät aus, das unser Parcours hergibt. Aber irgendetwas wird schon dran sein, wenn es die eigene Mutter doch immer wieder verkündet: „So ruhige Sonntagnachmittage gibt’s bei uns ja nicht, das kannste vergessen mit zwei kleinen Jungs.“

Die Aussagen über den angeblich so unterschiedlichen Bewegungsbedarf von Jungen und Mädchen, die ein Kind im Lauf der Jahre hört, lassen sich gar nicht zählen. Spätestens im Kindergarten lernen schon kleine Jungen, die gerade mal Laufen gelernt haben, dass sie nun zur Gruppe derer gehören, die von Natur aus wilder seien und deshalb öfter mal aufs Außengelände geschickt werden, um sich auszupowern. Deshalb hätten sie auch Nachteile in der Schule. Denn „Stillsitzen ist nichts für Kerle“, ist die Lehrerin Birgit Gegier Steiner überzeugt, und tritt mit ihrem Buch für eine „artgerechte Haltung“ der hellblauen Spezies ein.

Wie wäre es, Kinder nicht ungesehen in zwei Lager zu teilen, sondern stattdessen für alle mehr Bewegung und Abwechslung vom Stillsitzen zu fordern? Oder doch wenigstens für alle, denen sie gut tut, ganz unabhängig vom Geschlecht?

„Ja, aber das Testosteron …“ – erreicht bei Jungen erst ab der Pubertät einen relevant höheren Pegel, als der von Mädchen, und inwiefern sich das Sexualhormon überhaupt auf unser Verhalten auswirkt, ist nicht ausreichend erforscht. „Und die Unterschiede im Gehirn …“ – sind bei Geburt noch minimal bis gar nicht zu erkennen, wie eine aktuelle Studie aus Tel Aviv gerade gezeigt hat.

Foto: privat
Sascha Verlan

geboren 1969, lebt und arbeitet als freier Autor und Hörfunkregisseur in Bonn. Er schreibt über Geschlechterrollen sowie über HipHop und Street Art und betreibt mit Almut Schnerring das Journalistenbüro „Wort- und Klangküche“. Sie sind Eltern von drei Kindern.

Doch was scheren uns aktuelle medizinische Untersuchungsergebnisse, wenn wir den Status quo aufrechterhalten können? Es ist doch so gemütlich, praktisch, gut, wie es ist. „Männer sind nun mal, und Frauen mögen eben …Das war schon immer so.“ Sagen die Privilegierten, lehnen sich auf dem Sofa zurück und berufen sich auf die Steinzeit. „Ist es nicht schön, dass Mann und Frau sich unterscheiden?“

Die Genderisten (herablassend für Menschen, deren Lebenslauf einen Berührungspunkt mit den Fachgebieten der Gender Studies aufweist) betrieben Gleichmacherei und wollten die Geschlechter abschaffen, so der Vorwurf nicht nur in den Kommentarspalten im Internet, sondern inzwischen auch auf Ratssitzungen und in Parteiprogrammen.

Dass es Gleichmacherei sein könnte, alle Mädchen als empathische Pferdeliebhaberinnen und alle Jungs als testosterongesteuerte Baggerführer gleichzuschalten, das wiederum scheint den RetterInnen des Abendlandes kein Gedanke wert. Keine Zeit, schließlich droht das Aussterben der Menschheit …oder so ähnlich.

Traditionelle Rollenbilder, von denen wir dachten, sie seien längst überwunden, werden heute von Eltern munter ins Kinderzimmer weitergereicht. Haben sie doch ihre offizielle, durch gegenderte Müslipackungen und Schuhkartons bestätigte Berechtigung: Jungs sind wild, Mädchen niedlich. Oder mit den Worten einer beinebaumelnden Fünfjährigen neulich im Bus: „Die Jungs müssen immer cool sein, und die Mädchen sind dafür schön.“

Die Botschaften des Gendermarketings sind angekommen. Stellt man die Adjektive, mit denen Produkte für Jungs beworben werden, den Begriffen gegenüber, die in Werbespots für Mädchen und auf rosa Verpackungen verwendet werden, teilt sich die Welt in zwei: „Abenteuer, Angriff, entdecken, Kraft, Freunde, Technik, sammeln, Held, Herausforderung, verteidigen, fahren, starten …“. Und auf der anderen Seite des Grabens: „Freundinnen, Liebe, Prinzessin, seidig, kuscheln, zauberhaft, Stil, Lied, Spaß, magisch, Design, Haare …“ Jungs zerstören, Mädchen funkeln.

Foto: privat
Almut Schnerring

geboren 1970, ist Journalistin und Sprecherzieherin. Sie hat Germanistik, Kunstgeschichte, Kommunikationsforschung und Phonetik studiert. Sie arbeitet vor allem für den Hörfunk. Gemeinsam mit ihrem Partner Sascha Verlan betreibt sie das Blog "Die Rosa-Hellblau-Falle".

Waren in den 1980ern Gummistiefel überwiegend gelb und für Kinder da, gibt es sie heute vor allem in Blau und Violett, irgendein Fahrzeug auf dem einen, Feen und Käfer auf dem anderen Paar – als wäre das Geschlecht wichtiger als die Schuhgröße. Es gibt für Mädchen und Jungen unterschiedliche Klebestifte, Zahnbürsten und Rätselbücher.

Es gibt Hähnchenschnitzel für sie und ihn, Männersalz, Frauenchips und Currysauce in den Schärfegraden Mädchen, Junge und Kerl … Ein Weichei, wer sich gegen Chili entscheidet? Aber nein, ist doch nur lustig gemeint. Deshalb gibt es selbst Putzmittel für die Windschutzscheibe in Rosa mit Blümchen oder in Hellblau mit frischer Welle.

Dass Feministinnen keinen Humor hätten, ersetzt in der Gleichstellungsdebatte gern das Gegenargument. Aber Kinder? Ironie lernen sie erst im Grundschulalter zu verstehen und das Entschlüsseln ironischer Botschaften in Bildern und Filmen kommt noch viel später. Dass auch Erwachsene nicht unbeeinflusst bleiben von der sich ausbreitenden Einteilung in Rosa und Hellblau, zeigen Szenen wie die beim Einkaufen: Ein Junge wollte rosa Socken haben. Die Verkäuferin sagte: „Die sind aber für Mädchen.“ Darauf der Junge: „Ich dachte, die wären für Füße.“

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