Kretschmanns Alleingang im Asylrecht

Asyl Der baden-württembergische Regierungschef verhandelt mit dem Kanzleramt darüber, weitere Staaten zu „sicheren Herkunftsländern“ zu erklären. Vertreter anderer grüner Landesverbände sind empört

Alles schon mal passiert: Im September 2014 protestieren Flüchtlinge in der grünen Parteizentrale gegen „sichere Herkunftsländer“ Foto: Björn Kietzmann

Aus Berlin Ulrich Schulte

Offiziell hüllt sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Schweigen. Sind Tunesien, Algerien und Marokko sichere Herkunftsstaaten? Soll Deutschland Flüchtlinge schnell in Länder abschieben, in denen Schwule und Lesben ins Gefängnis müssen? Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg prüft noch, wie sie sich zu einem Gesetzentwurf der Großen Koalition im Bundesrat verhalten will. Das wiederholt Kretschmanns Sprecher seit Wochen.

Was er nicht sagt, ist, dass der Grüne offenbar schon länger einen Kompromiss mit Angela Merkels Regierung aushandeln will. Der taz liegen Belege vor, dass Kretschmann sein Ja im Bundesrat anbietet, wenn er dafür Gegenleistungen bekommt. Er hat Peter Altmaier (CDU), dem Chef des Bundeskanzleramts und Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, konkrete Wünsche übermittelt.

Nun sind Kuhhandel im der Länderkammer keineswegs unüblich. Doch Kretschmanns Deal birgt einige Brisanz. Er verstieße gegen die Parteilinie, schließlich hat ein Grünen-Parteitag das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten erst im November für „falsch“ erklärt. Wichtiger aber ist, dass Kretschmann mit den Absprachen einen Alleingang hinlegt. Er agiert an seinen in acht anderen Bundesländern mitregierenden Parteifreunden vorbei.

Procedere: Welche Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuft werden, muss laut Grundgesetz der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats per Gesetz entscheiden.

Bedeutung: Die Wirkung der Einstufung gilt als eher symbolisch. Es wird nur vermutet, dass ein Ausländer aus einem „sicheren Herkunftsstaat“ dort weder verfolgt wird noch persönlich gefährdet ist. Im Asylverfahren kann der Antragssteller nach wie vor das Gegenteil beweisen. Es findet wie üblich eine Anhörung statt.

Folgen: Durch geplante Regelungen im Asylpaket II werden Antragsteller aus „sicheren Herkunftsstaaten“ bald verpflichtet, in besonderen Aufnahmeeinrichtungen zu wohnen. Außerdem wird angestrebt, das Verfahren binnen einer Woche abzuschließen. Eine besondere gesetzliche Regelung ist dafür eigentlich nicht nötig. Schon heute werden Anträge von Nordafrikanern vorrangig bearbeitet. (chr)

Viele Grüne sind deshalb fassungslos. „Was Kretsch da abzieht, ist unmöglich“, schimpft ein Landespolitiker. „Sein Egois­mus schadet anderen Grünen, die sich ebenfalls im Wahlkampf befinden.“ Dieses Verhalten verstoße gegen alle Verabredungen, wütet eine andere Parteistrategin. Was ist da los?

Alles begann mit einer Idee der Koalition. Warum nicht den Bundesrat schon vor den Landtagswahlen am 13. März über die sicheren Herkunftsstaaten abstimmen lassen? Vor allem die wahlkämpfenden CDU-Landesverbände in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz würden profitieren. Die meisten BürgerInnen finden es richtig, Menschen schnell in die nordafrikanischen Staaten abzuschieben – gerade nach den Attacken in der Kölner Silvesternacht. Die CDU könnte sich als Hüterin der Sicherheit aufspielen und die zögerlichen Grünen in den Senkel stellen.

Dass Kretschmann ein solches Szenario vermeiden will, ist nachvollziehbar. Er ließ offenbar schon vor Tagen im Kanzleramt vorfühlen, ob nicht ein Kompromiss möglich sei. Sein Ja gegen eine gesichtswahrende Zusage der Koalition.

So sehen die derzeitigen Planungen für das „Asylpaket II“ und weitere „sichere Herkunftsländer“ aus. Sie könnten noch beschleunigt werden:

16. Februar: Einbringung des Asylpakets II durch die Koalition

25. Februar: 2. und 3. Lesung

26. Februar: Abschluss im Bundesrat über das „Asylpaket II“

18. März: Beratung im Bundesrat zu „sicheren Herkunftsländern“

15. April: 1. Lesung im Bundestag

13. Mai: 2. und 3. Lesung im Bundestag

17. Juni: Abstimmung im Bundesrat

Zwei Punkte will Kretschmann verhandeln: eine Vereinfachung in asylrechtlichen Eilverfahren und eine Altfallregelung für seit Jahren in Deutschland lebende Migranten. Beides präzisiert ein am 11. Februar verfasster interner Forderungskatalog. Verfasst hat ihn Volker Ratzmann, Chef der politischen Abteilung der Landesvertretung Baden-Württembergs in Berlin. Besonders die Altfallregelung ist ein grünes Herzensanliegen. Ratzmann schlägt eine Stichtagsregelung vor. Wer vor dem 31. Dezember 2013 eingereist ist und einen Asylantrag gestellt hat, bekäme eine Aufenthaltserlaubnis. Dies beträfe weniger als 20.000 Menschen, schreibt Kretschmanns Vertrauter.

Die Kretschmann-Forderungen gingen ans Kanzleramt. Die Grünen in Hessen signalisierten dem Vernehmen nach, im Zweifel mitzuziehen. Wenn Baden-Württemberg und Hessen zustimmen, hätte Merkels Gesetzentwurf im Bundesrat die nötige Mehrheit.

Die Grünen, die in den sieben anderen Ländern mitregieren, erfuhren erst am Wochenende von dem angedachten Deal. Eine Telefonkonferenz der Ländervertreter wurde anberaumt. Kretschmann warb für seine Asylofferte. Der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, der in einer schwarz-grünen ­Koalition regiert, zeigte sich offen.

Die Bundesregierung verfügt im Bundesrat über keine gesicherte Mehrheit.Die Landesregierungen, in denen CDU, CSU und SPD unter sich sind, haben nur 27 von 69 Stimmen.

Die Grünen regieren in acht Ländern mit SPD, Linken oder CDU. Zusammen verfügen diese über 28 Stimmen. Nur in Hessen besteht eine schwarz-grüne Koalition, nur in Baden-Württemberg stellen die Grünen den Regierungschef.

Können sich Koalitionsregierungen in den Ländern nicht auf eine gemeinsame Haltung einigen, erfolgt üblicherweise eine Enthaltung.

Die anderen Teilnehmer der Telefonschalte äußerten sich skeptisch. Grüne aus Schleswig-Holstein und Hamburg gaben zu Protokoll, dass sich die Basis zunehmend klare Kante wünsche. Die Rheinland-Pfälzerin Eveline Lemke protestierte am entschiedensten. Die dortigen Grünen befinden sich wie Kretschmann im Wahlkampf. Für Kretschmann wäre ein Ja zu weiteren sicheren Herkunftsstaaten eine Entlastung, weil er der CDU in seinem konservativ grundierten Bundesland den Wind aus den Segeln nehmen könnte. Für die Rheinland-Pfälzer wäre es ein GAU. Die dortige Grünen-Basis ist gegen mehr ­sichere Herkunftsstaaten. Daniel Köbler, Fraktionschef in Mainz, sagt: „Es ist unverantwortlich, ein Land wie Marokko als sicher zu deklarieren – und möglicherweise sogar verfassungswidrig.“

Die taz bat am Montag Kretschmann und Al-Wazir um Stellungnahmen. Kretschmanns Sprecher sagte, die Landesregierung stehe in Sachen Flüchtlingspolitik „in regelmäßigem Kontakt“ mit der Bundesregierung und dem Koordinator für Flüchtlingsfragen, Peter Altmaier. „Dies sind jedoch vertrauliche Gespräche, über deren Inhalt wir keine Auskunft geben.“ Al-Wazir ließ nur einen Satz ausrichten: „Das Wesen von internen Telefonkonferenzen ist, dass sie intern sind.“