Europa

Die Nationalstaaten schotten sich in der Flüchtlingskrise mehr und mehr ab. Welche Konsequenzen hat das?

Die deutsche Wirtschaft fürchtet schwere Belastungen

Grenzkontrollen Welche Auswirkungen hätte die massive Überwachung der deutschen Grenze, wie sie die CSU vorschlägt? Wirtschaftsverbände gehen von bis zu 10 Milliarden Euro Mehrkosten aus, das Speditionsgewerbe schlägt schon jetzt Alarm

Teuer: Seit letztem Jahr wird an der deutsch-österreichischen wieder Grenze kontrolliert Foto: Matthias Balk/dpa

BERLIN taz | Schon jetzt sind die wiedereingeführten Kontrollen an den deutschen Grenzen für die Wirtschaft eine erhebliche Belastung. Sollten diese Abfertigungen, wie von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und seiner Partei gefordert, weiter verschärft und die Grenzen für Flüchtlinge geschlossen werden, würde das zu massiven Schäden führen, warnen Wirtschaftsvertreter.

„Eine Beschädigung oder gar Scheitern des Schengenraums wäre ein schwerwiegender Rückschlag für die Europäische Union und ihre Bürgerinnen und Bürger“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des Bundesverbands der Deutschen Industrie, des Bundesverbands der Arbeitgeberverbände und des Zentralverbands des Deutschen Handwerks.

Gerade Deutschland als exportstärkstes Land Europas profitiert von ungehindertem grenzüberschreitendem Warenverkehr. 2014 wurden Waren im Wert von 1.200 Milliarden Euro exportiert, das entspricht 38,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Gleichzeitig wurden Waren im Wert von 900 Milliarden importiert. 60 Prozent des Außenhandelsvolumens kommen aus dem innereuropäischen Handel. Knapp 80 Prozent des Warenverkehrs erfolgen über die Straße.

Welche Auswirkungen die Wiedereinführung von Personenkontrollen hat, zeigen die Erfahrungen an der deutsch-österreichischen Grenze. Nach Hochrechnungen des Deutschen Speditions- und Logistikverbands (DSLV) entstehen Transporteuren mit deutschem Kfz-Kennzeichen jährliche Mehrkosten von 18,5 Millionen Euro. Lastwagen mit deutschen Kfz-Kennzeichen haben aber nur einen Marktanteil von 20 Prozent. „Die entstehenden Gesamtkosten liegen bei mehr als 90 Millionen Euro im Jahr“, sagte Helmut Große, Experte für internationalen Straßengüterverkehr beim DSLV, der taz. „Die Unternehmen müssen mehr Fahrzeuge und mehr Fahrer einsetzen“, sagte er. Bei den Berechnungen geht der Verband von durchschnittlich einer Stunde Wartezeit aus. Noch werden nicht alle Fahrer kontrolliert. Geschieht das, steigen die Kosten massiv, sagte Große. Das gilt erst recht, wenn Lastwagen durchsucht würden, etwa nach illegal Einreisenden. „Dann ist die ganze Produktionskette betroffen“, sagte Große. „Das kann eskalieren.“

Das fürchtet auch der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHK). „Grenzkontrollen wären Sand im Getriebe unseres arbeitsteiligen Wirtschaftens“, sagte Sprecher Thomas Renner. In vielen Branchen lassen sich Unternehmen Material und Vorprodukte zu dem Zeitpunkt liefern, zu dem sie für die Verarbeitung gebraucht werden – die so genannte Just-in-time-Lieferung. Ohne Nachschub steht die Produktion still. „Viele Unternehmen müssten eine ganz neue Logistikstruktur aufbauen“, sagte Renner. Der DIHK geht davon aus, dass scharfe Grenzkontrollen zu Mehrkosten von rund 10 Milliarden Euro im Jahr führen würden.

Von einem enormen volkswirtschaftlichen Schaden in diesem Fall geht auch André Schwarz aus, Sprecher des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen. „Der Zug fährt in die völlig falsche Richtung“, sagte er. Schwarz warnt davor, die geschätzten Kosten gegen die Ausgaben für die Flüchtlingsversorgung zu rechnen. „Entscheidend sind die Kollateralschäden, die Grenzschließungen haben würden“, sagte er. Sie würden zu großen Wohlfahrtsverlusten in Deutschland führen.

„Grenzkontrollen wären Sand im Getriebe unseres arbeitsteiligen Wirtschaftens“

Thomas Renner, Sprecher des DeutscheN Industrie- und Handelstags

Schwarz fürchtet den möglichen Dominoeffekt. „Gibt es erst einmal nationale Grenzschließungen, sind nationale Zölle nicht weit.“ Es sei falsch, für europäische Probleme nationale Lösungen zu suchen.

Das CSU-geführte Verkehrsministerium wollte sich auf taz-Anfrage zu den Befürchtungen der Wirtschaftsvertreter nicht äußern.. Anja Krüger