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Wenn die Kosten für Arzneimittel explodieren

Ethik Die finanziellen Mittel sind begrenzt, die Kosten steigen weiter. Brauchen wir eine offene, politische Debatte über den Preis der Gesundheit?

BERLIN taz | Die Krankenkassen rechtfertigen ihre satten Beitragserhöhungen zulasten der Versicherten auch damit, dass die Ausgaben für Arzneimittel in Deutschland so stark gestiegen sind.

2014 stiegen sie im Vergleich zum Vorjahr um 3,3 Milliarden Euro auf 35,4 Milliarden Euro. Das waren binnen einem Jahr 10,3 Prozent mehr als zuvor, wie die Autoren des Arzneiverordnungsreports der gesetzlichen Krankenversicherung im September 2015 bestürzt feststellten.

Dieser Anstieg beruhte einerseits auf veränderten Gesetzen: So senkte die Regierung den Herstellerrabatt auf Medikamente von 16 auf 7 Prozent. Die Kosten explodierten aber vor allem wegen der extrem hohen Preise, die die Pharmaindustrie für einige wenige neue Arzneimittel verlangt. Dazu gehören neuartige Präparate zur Behandlung der Viruserkrankung Hepatitis C oder moderne Therapien gegen Krebs. Letztere kosten mitunter 100.000 Euro pro Jahr und Patient.

Laut Report verursachten nur sechs Arzneigruppen Mehrkosten von 2,1 Milliarden Euro. Das Problem: Im ersten Jahr nach der Marktzulassung des Medikaments darf der Hersteller den Preis nach dem deutschen Gesetz allein festlegen. Die Kassen müssen ihn erstatten.

Erst danach greift ein Preis, den Kassen und Industrie bis dahin ausgehandelt haben müssen. Der soll sich am Zusatznutzen des neuen Medikaments gegenüber bereits existierenden Mitteln bemessen. Setzt sich der Trend der Ausgabenexplosion fort, wofür vieles spricht, dann dürfte eine schwierige bioethische Debatte spätestens im kommenden Bundestagswahlkampf das Parlament erneut beschäftigen: Welchen Preis sind wir für unsere Gesundheit zu zahlen bereit? Wollen wir uns – angesichts begrenzter Finanzmittel und Ressourcen – weiterhin alles leisten, was machbar ist? Auf welche medizinische Versorgung sollen welche Patienten künftig verzichten? Derzeit muss nach dem Sozialgesetzbuch jeder gesetzlich Versicherte ein Medikament zulasten der Krankenkasse bekommen, wenn das Medikament für seine Krankheit zugelassen ist und ein Arzt es ihm verordnet.

Nur heimlich bevorzugt

Die Kassen in Deutschland können also nicht sagen, dass sie eines der teuren Hepatitis-C-Mittel beispielsweise nur für die Gruppe der Hepatitis-C-Patienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium bezahlen, wie das etwa die Schweiz und Frankreich 2014 beschlossen haben.

Als unmoralisch und damit politisch nicht durchsetzbar gilt in Deutschland auch, was die Briten seit Jahren praktizieren: Dort werden die Kosten einer Therapie in Bezug gesetzt zu der daraus resultierenden zusätzlichen Lebenserwartung. Eine 30-Jährige Krebspatientin etwa hat also, vereinfacht gesagt, gute Chancen, gegenüber einer 80-Jährigen vorgezogen zu werden.

In Deutschland dagegen wird diese Debatte bislang selten offen geführt. Dabei werden auch hierzulande bestimmte Patientengruppen heimlich bevorzugt, etwa solche, die artikulationsstark sind. Auch werden schon heute Arzneimittel rationiert – wenngleich implizit, also nach intransparenten Kriterien und damit für die Patienten kaum nachvollziehbar.

Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, der Berliner Onkologe Wolf-Dieter Ludwig, hat die Folgen dieser Entwicklung zuletzt im Deutschen Ärzteblatt beklagt und ein politisches Umsteuern gefordert: „Ärzte werden am Krankenbett gezwungen sein zu entscheiden, ob sie ein sehr teures Medikament einsetzen oder nicht. Solche Entscheidungen sollte aber nicht der Arzt treffen – über eine gerechte Verteilung begrenzter Mittel müssen die Politik beziehungsweise demokratisch legitimierte Institutionen entscheiden.“ Heike Haarhoff

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