Der arme Staat: Optimistisch in der Falle

Nach der Ministerpräsidentenkonferenz hoffen manche auf neuen finanziellen Spielraum. Für Ökonom Rudolf Hickel kein Grund, auf Sparkurs zu bleiben.

Wer spart, hat deshalb auch nicht unbedingt mehr davon: Zaster. Foto: Tim Brakemeier/ dpa

BREMEN taz | Die regierungsoffiziellen Meldungen über die künftige Finanzierbarkeit des Stadtstaats Bremen sind nach den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz von vergangener Woche widersprüchlich. Die Hoffnung auf einen Befreiungsschlag nicht erst ab 2020 macht die Runde. Selbst für den laufenden Sanierungspfad zum jährlichen Abbau der Neuverschuldung wird mit einem größeren finanziellen Spielraum gerechnet.

Getrieben vom fiskalischen Optimismus ist der Bremer Senat allerdings dabei, die Öffentlichkeit und vor allem die Interessengruppen auf die Fortsetzung des Austeritätsregimes auch über 2020 hinaus einzuschwören. Die widersprüchlichen Bewertungen durch die Politik, die diffusen Illusionen, die mit Ausgaben- und Einnahmeposten verbundenen Risiken sowie die technokratische Finanzrhetorik verlangen nach Aufklärung über die Finanzen des Stadtstaats.

Fragen nach der Zukunft des Sanierungskurses mit dem Ziel, die Neuverschuldung bis 2019 auf null zu drücken sowie die ernsthaft zu erwartenden Wirkungen des reformierten Finanzsystems in Deutschland abzuschätzen, verlangen nach ehrlichen Antworten. Dabei sollten drei Phasen der Bremer Finanzpolitik unterschieden werden:

Deutliche Risse schon jetzt

Rudolf Hickel hat analysiert, wie Bremen im Bund-Länder-Finanzausgleich ab 2019 gemäß den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz dastehen könnte, im Vergleich zum Status Quo:

Nach neuem System stünden insgesamt 2.429,7 Millionen Euro zur Verfügung, laut gegenwärtigem Verfahren hingegen nur 2.239,7 Millionen.

Bei der Umsatzsteuer wäre Bremen bisher besser dran: Statt 1.623 Millionen gäbe es künftig nur noch 1.606 Millionen.

An Bundesergänzungszuweisungen würden 322 statt 236 Millionen Euro anfallen.

An unbefristeten Sanierungshilfen stünden 400 statt 300 Millionen zur Verfügung.

Unverändert hingegen blieben die Sätze für Kosten der politischen Führung (64 Millionen), die Bundeshilfen laut Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (6 Millionen) sowie der Ausgleich für die Hafenlasten (10,7 Millionen).

Bereits in der aktuellen Sanierungsphase bis 2019 zeigen sich deutliche Risse. Die eigene Planung, mit jährlichen Sanierungshilfen von 300 Millionen Euro bis 2019 die Neuverschuldung verschwinden zu lassen, ist gescheitert. Kronzeugin ist die Finanzsenatorin, die unmissverständlich im September in ihrem Bericht über die „Aufstellung der Haushalte 2016 und 2017 sowie der Planung 2018 bis 2020“ mitteilt, der Sicherheitsabstand zwischen dem durch den Stabilitätsrat zugelassenen und dem tatsächlichen strukturellen Defizit schmelze.

Erstmals wird der Sicherheitsabstand in 2018 mit steigender Tendenz in den Folgejahren unterschritten. Klar ist, das Scheitern dieser Politik unter dem alles erschlagenden Ziel Schuldenbremse ist nicht durch verschwenderische Ausgabenpolitik entstanden. Es sind die objektiven Risiken, die sich jetzt zur Planung querstellen. Wann wird das endlich zugegeben?

Wann wird erklärt, dass die Fixierung der Finanzpolitik auf ein Schuldennull nicht nur in Bremen zur Bremse für die soziale, infrastrukturelle und ökonomische Stärkung geworden ist? Im vorauseilenden Gehorsam gegenüber den kritikfeindlichen Einsparfetischisten sei angemerkt: Es geht nicht darum, die Ausgabenschleusen zu öffnen, sondern um eine ausreichende Finanzierung notwendiger öffentlicher Aufgaben in den wichtigen Bereichen der öffentlichen Daseins- und Zukunftsvorsorge, allerdings bei permanenter Aufgabenkontrolle.

Flüchtlingshilfe oben drauf

In der seit 2015 neuen Phase wird durch die Finanzierung der Mega-Aufgabe Unterbringung und Integration der Flüchtlinge die Schuldenbremse zusätzlich ad absurdum geführt. Übrigens erkennen das auch große Flächenländer wie Bayern und allmählich auch der Bund. Bremen hat mit der Aufnahme zusätzlicher Kredite in Höhe von knapp 30 Millionen Euro im Rahmen des Nachtragshaushalt für 2015 richtig gehandelt.

Im Kern geht es um die Finanzierung der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen. Das Grundgesetz deckt diese Beanspruchung der Finanzmärkte. Schließlich steht in Artikel 115 des Grundgesetzes: „Im Falle (…) außergewöhnlicher Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“, dürfen die Obergrenzen bei der Kreditaufnahme überschritten werden.

Diese Kreditfinanzierung widerlegt beispielhaft das Geschwätz von den künftigen Generationen als Verlierer durch vererbte Schuldenberge. Sie werden zu Gewinnern dieser Investitionen in die Flüchtlingsintegration durch soziale, ökonomische und gesellschaftliche Stabilisierung. Solange die Politik zu feige ist, diese Aufgaben durch die Umwidmung des gerecht wirkenden Solidaritätszuschlags langfristig zu finanzieren, bleibt nur die Möglichkeit, über die Kreditaufnahme die überschüssigen Geldvermögen abzuschöpfen. Jedenfalls verbietet dieser unvermeidbare Nachtragshaushalt den Grünen in der Bürgerschaft, künftig kreditfinanzierte Ausgaben generell als Sünde an künftigen Generationen zu verdammen.

Am Ende des Solidarpakts

Eine neue Phase in der Finanzierung des Stadtstaats wird nach dem Ende des derzeitigen Solidarpakts 2020 starten. Die anfangs völlig überbewerteten Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz tragen durchaus zur Stabilisierung der Bremer Finanzen bei. Die Klagen gegen die Einwohnerwertung für Bremen mit einem drohenden Verlust von über 660 Millionen Euro durch Bayern und Hessen sind vom Tisch. Wie der Vergleich der Eckwerte 2019 gegenüber 2020 zeigt, finanziert der Bund weiterhin Sonderbedarfe: Kosten der politischen Führung, Ausgleich für Hafenlasten, Hilfen zur Gemeindeverkehrsfinanzierung sowie den Fehlbetragsausgleich aus der Finanzkraftumverteilung(siehe Kasten).

Jetzt die Flucht nach vorn

Die schwere Last der Altschulden von über 20 Milliarden Euro und Zinslasten bleiben jedoch Bremen erhalten. Die Forderung nach einem Fonds zur Tilgung von Altlasten war nach dem Kompromiss von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) endgültig nicht mehr durchzusetzen. Als Ersatz wurde die bisherige Sanierungshilfe zur Realisierung der Schuldenbremse mit 300 Millionen Euro erst einmal dauerhaft ab 2020 auf 400 Millionen erhöht.

Bei der Frage, ob das gesamte Geld in die Haushaltskasse fließen soll, verbreitet Rot-Grün Optimismus. Wenn aber, wie der Name bereits suggeriert, der Bund Hilfen zur Sanierung verfügbar macht, wird wohl ein Teil für die Sanierung der Schuldenlage genutzt werden müssen. Wäre es nicht vernünftig, die Flucht nach vorne zu ergreifen? Bremen erklärt, mit 100 Millionen Euro ein Viertel zum Abbau des Schuldenbergs zu nutzen. Dann stünden noch 300 Millionen zur freien Verfügung. Der aktuell vielfach diskutierte Alternativvorschlag, Schulden durch Inflation abzubauen, ist fiskalisch naiv und politisch durchschaubar. Zinsen werden nominal und nicht ohne Abzug der Geldentwertung bezahlt. Der reale, um die Inflation bereinigte Schuldenstand ist auch für bremischen Haushalt und Finanzmärkte eine Fiktion.

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