Regierungserklärung in Stuttgart: „Wir arbeiten alle im Krisenmodus“

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann rechtfertigt im Landtag Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels.

Der Bauch und die Hände Kretschmanns

Wies in seiner Regierungserklärung auf Grenzen der Aufnahmekapazitäten hin: Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann. Foto: dpa

STUTTGART taz | Winfried Kretschmann bleibt auch in der Flüchtlingskrise seinem präsidialen Regierungsstil treu. In seiner Regierungserklärung vor dem Stuttgarter Landtag rechtfertigte Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident die Ergebnisse des Berliner Flüchtlingsgipfels als pragmatischen Humanismus.

Der 67-jährige Regierungschef wies aber auch auf Grenzen der Aufnahmekapazitäten hin und forderte europäische Lösungen. Es könne nicht sein, dass Schweden und Deutschland die Hälfte aller Flüchtlinge aufnimmt. „Wer sich in Europa der Aufnahme von Flüchtlingen verweigert, der riskiert ein Scheitern Europas“, sagte Kretschmann. „Ohne europäische Solidarität und ohne entschlossenes internationales Handeln werden wir eines Tages nicht mehr gefordert, sondern überfordert sein.“

Baden-Württemberg ist eins der Durchgangsländer für die Flüchtlinge, die vom Balkan über Bayern nach Deutschland kommen. Allein im September diesen Jahres sind 25.000 Flüchtlinge gekommen, so viele, wie im ganzen letzten Jahr. „Wir arbeiten alle im Krisenmodus und auf Sicht“, sagte Kretschmann.

An eigene Familiengeschichte erinnert

In dieser Woche hat das Land eine zentrale Erfassungsstelle in Heidelberg eröffnet, in der alle Flüchtlinge registriert und medizinisch untersucht werden, bevor sie in andere Erstaufnahmeeinrichtungen oder an die Kommunen verteilt werden. Die Heidelberger Erfassungsstelle gilt bundesweit als Pilotmodell zur Beschleunigung der Asylverfahren.

Kretschmann erinnerte an seine eigene Familiengeschichte als Flüchtling nach dem Krieg. Seine katholischen Eltern lebten vor ihrer Flucht im heute zu Polen gehörenden Ermland, einer katholischen Enklave im damals mehrheitlich protestantischen Ostpreußen. „Baden-Württemberg war schon immer ein Einwanderungsland“, sagte er.

Kritikern aus der eigenen Partei, die ihm etwa die Anerkennung sogenannter sicherer Herkunftsländer und die verstärkte Ausgabe von Sachleistungen an Flüchtlinge vorgeworfen haben, antwortete der ausgewiesene Oberrealo im Landtag: Angesichts der Herausforderungen für alle gingen „Kompromisse vor Parteiprofilierung“.

Schulterschluss mit schwarz-gelber Opposition gesucht

Tags zuvor hatte die grün-rote Regierung bei einem Treffen mit der schwarz-gelben Opposition einen Schulterschluss aller Parteien im Landtag in der Flüchtlingsfrage gesucht. Das gelang nur teilweise: CDU und FDP warfen Kretschmann in der Debatte vor, ein „Abschiebeproblem“ zu haben. Die Zahl der Abschiebungen sei angesichts der Flüchtlingszahlen zu gering. Zudem habe die grün-rote Regierung aus ideologischen Gründen die Anerkennung weiterer sicherer Herkunftsländer zu lange verzögert.

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke verglich die Androhung der grünen Oberbürgermeister von Stuttgart und Tübingen, Fritz Kuhn und Boris Palmer, mit den Hausbesetzungen der 1980er Jahre. „Mancher bekommt graue Haare aber ändert seine Gedanken nicht“, sagte Rülke.

Für einige Irritation hatte vor dem Flüchtlingsgipfel vergangene Woche in Berlin ein gemeinsamer Auftritt des SPD-Fraktionschefs Claus Schmiedel mit Guido Wolf, dem CDU-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2016, gesorgt. Zunächst ohne den grünen Koalitionspartner, hatte Schmiedel mit der CDU eine gemeinsame Erklärung gegen Gewalt gegen Flüchtlinge auf den Weg gebracht und diese zusammen mit Oppositionsführer Wolf der Presse präsentiert. In der Koalition hatte das für Unruhe gesorgt. Gestern zeigt sich die Regierung wieder weitgehend geschlossen.

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