: Urteil voller Widersprüche
Justiz Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilt die beiden politischen Führer der ruandischen Miliz FDLR als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung und setzt einen auf freien Fuß
Aus Stuttgart Dominic Johnson
Rätselraten herrschte am Montagnachmittag im Oberlandesgericht Stuttgart, nachdem der 5. Strafsenat zum Abschluss eines der teuersten Prozesse der deutschen Rechtsgeschichte ein nicht wirklich stimmiges Urteil gefällt hat. Der Senat unter Vorsitz von Richter Jürgen Hettich sprach die beiden in Deutschland lebenden politischen Führer der im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) wegen „Rädelsführerschaft einer terroristischen Vereinigung“ schuldig.
Aber anders als von Menschenrechtsgruppen erhofft gab es keine Verurteilung von FDLR-Präsident Ignace Muwarnashyaka als Vorgesetzter seiner Truppen, die Kriegsverbrechen in der Demokratischen Republik Kongo verübt haben – die sogenannte Vorgesetztenverantwortlichkeit, Grundlage aller internationalen Kriegsverbrecherprozesse. Und der 1. FDLR-Vizepräsident Straton Musoni verließ das Gericht als freier Mann, weil er seine Haftstrafe bereits zu mehr als zwei Dritteln in der Untersuchungshaft abgesessen hat.
Was die Darstellung der Verbrechen der FDLR im Kongo angeht, waren die Richter eindeutig. Es bestehe kein Zweifel daran, dass FDLR-Truppen im Jahr 2009 in den ostkongolesischen Dörfern Mianga, Busurungi, Ciriba und Manje Zivilisten ermordet hätten, führte Richter Hettich aus. Die FDLR habe Zivilisten, die mit Kongos Armee zusammenarbeiteten, als Feinde behandelt: sie hätten nachts Dörfer angegriffen, in denen kongolesisches Militär stationiert war; sie seien in die Häuser eingedrungen, hätten die Bewohner mit Hieb- und Stichwaffen getötet oder lebendig in ihren Hütten verbrannt. „Nachts im Dunkeln mit automatischen Gewehren auf menschliche Ziele feuern, ohne zu unterscheiden, ob es Soldaten oder Zivilisten sind“, sei strafbar.
Aber, so der Richter weiter: Nicht die Zivilbevölkerung sei „primäres Objekt“ dieser Angriffe gewesen, sondern die Soldaten in den Dörfern. Damit seien die Angriffe nicht als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu werten, sondern lediglich als Kriegsverbrechen. Bei der Darstellung der Taten hatte er indes ausgeführt, meistens seien die kongolesischen Soldaten schnell vor der FDLR geflohen und danach hätte sich die Miliz die Zivilbevölkerung vorgenommen. Dieser Widerspruch bleibt ungeklärt.
Der Senat hält nicht für bewiesen, dass FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka – ein in Deutschland lebender Politiker – die Soldaten seiner Miliz an diesen Verbrechen hätte hindern können. Murwanashyaka habe zwar von den Verbrechen gewusst und sie gebilligt, aber ihm „fehlt es an Kontrolle im Sinne einer Tatverhinderungsmacht“, so die Richter. Daher sei er nicht als Vorgesetzter zu verurteilen, sondern lediglich wegen „Beihilfe“. Es handele sich vor allem um „psychische Beihilfe“, „durch Bestärkung des Tatentschlusses“.
Eindeutig hingegen sei die FDLR eine terroristische Vereinigung, und die beiden Angeklagten als ihre beiden höchsten Führer als „Rädelsführer“ seien schuldig. Deswegen wurde Murwanashyaka zu 13 Jahren Haft verurteilt und Musoni zu 8 Jahren; beide sitzen seit knapp 6 Jahren in Untersuchungshaft, weswegen Musoni sofort freikam. Die „Zwecke und Tätigkeit“ der FDLR seien darauf ausgerichtet, „Kriegsverbrechen zum Nachteil der kongolesischen Zivilbevölkerung“ zu begehen, um ihr politisches Ziel der Machtübernahme in Ruanda zu erreichen.
Der Richter räumte ein, dass zwischen der Verurteilung als „Rädelsführer“ und der wegen „Beihilfe zu Kriegsverbrechen“ ein Widerspruch besteht. Murwanashyakas Verteidigerin Ricarda Lang sagte der taz nach Ende der Verhandlung, sie habe bereits Revision eingelegt. Bundesanwalt Christian Ritscher sagte, man werde das Urteil „erst mal in Ruhe analysieren“. Der verurteilte, aber freigelassene FDLR-Vize Straton Musoni erklärte der taz, sein vor drei Jahren vor Gericht ausgesprochener Austritt aus der FDLR sei „endgültig“.
Der Senat scheint nicht wirklich zufrieden zu sein. In der Einleitung seiner Urteilsbegründung übte der Vorsitzende Richter scharfe Kritik am Verlauf der über vier Jahre währenden Hauptverhandlung. Die Aufklärung von Straftaten 6.000 Kilometer weit weg sei sehr schwierig, das Verhalten der Parteien sei zum Teil „unsäglich“ gewesen. „Ein solches Mammutverfahren ist mit den Mitteln der Strafprozessordnung nicht in Griff zu bekommen“, sagte Hettich.
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