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Die Bundesregierung rudert zurück: Syrer sollen nicht alle nach Deutschland kommen

Doch kein gelobtes Land

KOALITION Die Regierung versucht den Eindruck zu zerstreuen, Deutschland heiße alle Flüchtlinge aus Syrien willkommen, und macht Druck auf andere Staaten der EU, ihre Pflichten zu erfüllen

Junge Männer mit syrischen Pässen am Budapester Ostbahnhof fordern die Ausreise nach Deutschland Foto: Martin Fejer/EST&OST

von Daniel Bax

Die Bundesregierung bemüht sich um Schadensbegrenzung. „Dublin gilt für alle“, betonte der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Johannes Dimroth, am Mittwoch in Berlin. Die Regel, dass derjenige EU-Mitgliedstaat, in dem ein Asylbewerber erstmals den Boden der Europäischen Union betritt, auch für dessen Asylverfahren verantwortlich ist, gelte weiterhin. „Wir werden nicht müde, alle anderen daran zu erinnern“, sagte der Ministeriumssprecher.

Italien hat am Mittwoch auf Bitten Deutschlands am Brenner, an den Übergängen zu Österreich, vorübergehend wieder Grenzkontrollen eingeführt. Auch aus Italien wollen viele Flüchtlinge nach Deutschland reisen. Die CSU begrüßte diesen Schritt: Dies sei „der ausdrückliche Wunsch der bayerischen Staatsregierung“ gewesen, hieß es aus München.

Seit Anfang der Woche sind Tausende Flüchtlinge, aus Ungarn kommend, in Südbayern eingetroffen. Rund 14.000 Flüchtlinge aus Budapest sollen noch nach Deutschland unterwegs sein. In Berlin baut man deshalb jetzt unter anderem Zelte auf, kündigte Regierungschef Michael Müller (SPD) auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz an.

In den vergangenen Tagen haben sich die Ereignisse überstürzt. Am Freitag hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Mitarbeiter angewiesen, syrische Flüchtlinge nicht mehr in andere EU-Staaten zurückzuschicken, auch wenn diese nach den Dublin-Regeln eigentlich für sie verantwortlich wären. Schon seit 2011 schickt Deutschland syrische Flüchtlinge nicht mehr nach Griechenland zurück, weil das Land damit überfordert ist. Doch mit seiner offiziellen Ankündigung hat Deutschland die Dublin-Regeln faktisch außer Kraft gesetzt.

In den sozialen Netzwerken verbreitete sich die Nachricht übers Wochenende wie ein Lauffeuer. Merkel wurde von manchen Syrern mit Lob überschüttet. Blumige Liebeserklärungen an die deutsche Kanzlerin machten auf Twitter die Runde, und am Montag skandierten auf dem Bahnhof in Budapest die Menschen, die einen Zug nach Deutschland besteigen wollten, „Merkel, Merkel“. Ungarn ließ daraufhin Hunderte Flüchtlinge in überfüllten Zügen ungehindert in Richtung Wien und München passieren, was dort für Ärger sorgte.

Österreich und Ungarn geben Deutschland eine Mitschuld daran, dass die Situation außer Kontrolle geraten sei. Die Ankündigung, Syrer würden von dort nicht mehr in andere EU-Staaten zurückgeschickt, habe bei den Flüchtlingen in ihren Ländern einen enormen Reisedruck ausgelöst, für Chaos gesorgt und eine Sogwirkung entfaltet, sagte ein Sprecher des österreichischen Innenministeriums am Dienstag. Dadurch sei der Eindruck entstanden, Deutschland sei eine Art gelobtes Land für Syrien-Flüchtlinge. Andere sprachen davon, Deutschland mache sich zum Magneten, oder sie bemühten das Bild vom „Staubsauger“. Der tschechische Innenminister Milan Chovanec schlug sogar vor, für Syrer einen humanitären Flüchtlingskorridor direkt nach Deutschland zu schaffen.

In Deutschland weist man die Vorwürfe zurück: Die Anweisung sei aus rein „praktischen Erwägungen“ erfolgt, sagte der Sprecher des Innenministeriums. Es gebe keinen direkten Zusammenhang mit dem Ansturm auf den Bahnhof in Budapest, die Menschen hätten schon vorher nach Deutschland gewollt. Gleichwohl müsse man vorsichtig sein, welche Botschaften man wie kommuniziere, räumte er ein. „Das entbindet unsere europäischen Partner aber nicht von ihren Pflichten“, sagte Dimroth.

In Österreich und Ungarn gibt man Deutschland eine Mitschuld daran, dass die Situation ins Rutschen geraten ist. Dort heißt es, Deutschland mache sich durch seine Nachsicht zu einem „Magneten“ oder zum „Staubsauger“

Das sieht auch die EU-Kommission so: Ihr Präsident Jean-Claude Juncker soll bereits Warnbriefe an mehrere Mitgliedsländer verschickt haben, in denen er sie drängt, sich an die geltenden Aufnahmeregeln zu halten, wonach Asylsuchende Unterkunft und Verpflegung erhalten und per Fingerabdruck erkennungsdienstlich erfasst werden. Nur so könnten die Dublin-Regeln umgesetzt werden. Am Donnerstag reist der ungarische Regierungschef Viktor Orbán zu einem Krisentreffen nach Brüssel.

Indem es die Dublin-Regeln für syrische Flüchtlinge ausgesetzt hat, nimmt Deutschland Druck von anderen EU-Staaten. Mittelfristig strebt man in Berlin und Brüssel aber neue Regelungen an, um Flüchtlinge in der EU in Zukunft gerechter zu verteilen. Es gebe in der Flüchtlingsfrage derzeit „einige Dynamik“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin und verwies auf Spaniens Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, der kooperativ sei. Man setze „auf die Kraft der Argumente“, werbe überall in Europa für eine gemeinsame Lösung und sei „optimistisch, dass wir vorankommen werden“.

Das stößt aber bei vielen Staaten auf Widerstand. Am Freitag wollen die östlichen EU-Länder Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn auf einem Gipfeltreffen in Prag ihre Positionen abstimmen. Sie alle wollen nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico meint, feste Quoten zur Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU würden „nur die organisierte Kriminalität“ fördern.