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Flüchtlingshelfer auf dem LandGegen die Angst

Nach den rassistischen Vorfällen der letzten Wochen haben nicht nur Flüchtlinge, sondern auch deren Helfer Angst. Das hat auch etwas Gutes.

Angst? Oder nicht? Erstmal handeln: Flüchtlingshelfer in Darmstadt. Foto: dpa

„Das älteste und stärkste Gefühl ist Angst, die älteste und stärkste Form der Angst, ist die Angst vor dem Unbekannten.“ Dieser Satz stammt von dem amerikanischen Autor H. P. Lovecraft. Der Mann wusste, wovon er sprach: Er schrieb Anfang des 20. Jahrhunderts Horror-Romane, hantierte also hauptberuflich mit diesem menschlichen Urgefühl.

Dass Lovecrafts Satz über die Angst nach wie vor Gültigkeit hat, kann man dieser Tage nachprüfen. Gewaltbereite Fremdenfeinde verbreiten in Deutschland ein Klima der Angst. Sie fackeln Flüchtlingsunterkünfte ab, bedrohen Kommunalpolitiker, pinkeln auf ausländisch aussehende Kinder, pöbeln Politiker an.

Ihnen ist nichts peinlich – und Angst scheinen sie schon gar nicht zu haben. Nicht vor der Polizei, nicht vor der Politik, nicht vor ihren Nachbarn. Im Gegenteil – die sollen Angst vor ihnen haben.

Und das funktioniert offensichtlich auch. Unter jenen, die helfen, weil angesichts der Flüchtlingsnot Helfen nun mal das Gebot der Stunde ist, nimmt die Angst vor dem rechten Mob immer weiter zu.

Ermutigende Bilder aus den Großstädten

Warum, fragen sie sich, hat das doch offensichtlich kriminelle Verhalten der Nazis von Freital, Heidenau oder Dortmund keine Folgen? Wieso greift die Polizei nicht ein und nimmt diese Typen hopp? Wie kann es sein, dass Empathie und Hilfsbereitschaft unwidersprochen herabgewürdigt werden dürfen? Warum werden Kommunalpolitiker nicht stärker unterstützt?

Das Gebrüll und Gekeife, das dumpfe rechte Vokabular, die grassierende Gewalt – das macht Angst. Und diese Angst macht stumm.

Und schließlich: Was geschieht, wenn auch in meinem Dorf, in meiner Kleinstadt Flüchtlinge bedroht, angegriffen werden? Werde ich mich trauen, dagegen öffentlich anzutreten? Die Antwort: eher nicht. Die Erfahrung der letzten Wochen lehrt, dass Helfer nicht ausreichend beschützt werden können.

Man kann das feige finden. Doch die Angst, sie greift aktuell gerade dort Platz, wo offen zur Schau gestellte Demokratiefeindlichkeit und Gewalt ungestraft stattfinden dürfen. Und das ist nun einmal eher die Provinz als die Metropole. In den Großstädten ist vernetzte Hilfe sichtbarer.

So wie sich die Dramatik der Lage, sagen wir, vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales selbst dem flüchtigsten Betrachter offenbart, so ist auch die Unterstützung der Helfer für die durstenden Kinder, die wartenden Männer und Frauen sichtbarer. Ermutigende Bilder aus den Großstädten sind das, die von einer funktionierenden Zivilgesellschaft erzählen.

Helfen als Wagnis

Aber die pensionierte Lehrerin, die in einer Kleinstadt bei sich zu Hause Flüchtlingen Deutschunterricht erteilt – die ist nicht zu sehen. Und sie wird sich hüten, sichtbar zu werden – nicht jetzt, da Rechte pöbeln und randalieren und Helfen zum Wagnis wird. Die deutsche Jägerzaun-Provinz kann sehr einsam sein.

Man muss sich nichts vormachen. Zwar kann man sich die Boshaftigkeit der Rechten erklären: Sie ist der Ausdruck ihrer eigenen Angst vor dem Unbekannten. Aber unbekannt ist der Bürgergesellschaft eben auch die neue Brutalität von Mitterechts. Das Gebrüll und Gekeife, das dumpfe rechte Vokabular, die grassierende Gewalt – das macht Angst. Und diese Angst macht stumm. Wenn dieser Tage also gefragt wird, wo denn die Heidenauer Demokraten stecken: Sie sind da. Aber sie fürchten sich. Noch. Und das ist wirklich beängstigend.

Ein Gutes aber hat dies alles auch: Aktuell macht die demokratische Mehrheit die gleiche Angsterfahrung, die eine Minderheit in diesem Land seit Jahrzehnten ertragen muss. Von empathielosen Fremdenfeinden und Sozialneidern zum Objekt der Verachtung erklärt und von ihnen bedroht zu werden: das ist exakt jene Erfahrung, die Deutsche mit Migrationshintergrund seit Langem machen. Unterstellungen, Vorurteile, Zurückweisungen sind das Repertoire jener, denen das Unbekannte Angst macht.

Die Angst dieser Mitbürger auch einmal zu spüren, könnte diese Gesellschaft klüger, empathischer machen. Und vielleicht auch offener für eine unangenehme Erkenntnis. Denn dieser Sommer, er zeigt, dass es die gewaltbereite Rechte tatsächlich gibt. Und dass sie bereit zum Handeln ist. Die Angst vor ihr zu überwinden ist das, was dieses Land jetzt leisten muss.

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9 Kommentare

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  • Die Täter von Weissach hat man übrigens schon geschnappt.

    Es geht nämlich, wenn man nur will.

  • Dabei verstehe ich nur eines nicht: Die rassistisch Pöbelnden wäre mir vorort ja auch fremd und aufgrund ihres Verhaltens müssten sie doch jedem, der von Ruhe und Ordnung redet, aufgrund ihrer Störung derselben erheblich mehr Angst einflößen, als meist erschöpfte Menschen, die an der Haut- aber möglicherweise auch nur an der Haarfarbe als Flüchtlinge zuordenbar sind. Wie kann man sich also unter derart martialischer Begleitmusik sicherer fühlen, zumal deren Gewaltpotential ja offen zutage tritt? Was macht die Menschen so sicher, dass sich dies nicht einmal auch gegen sie selbst richtet? Woher wissen die Leute, dass sie nicht auch einmal einen Widerspruch einlegen... müssen? Können sie sicher sein, dass sie auch künftig immer und zu allem - selbstverständlich voll demokratisch - schweigen können?

     

    Haben wir für eine solche Gesinnung vor 25 Jahren jubelnd die Mauer gekippt? Dass wir heute dort (aber auch anderswo) von Dumpfbacken mit mangelnder demokratischer Reife und unter untätigem Wegsehen von Gesetzeshütern, die zwar Gesetze aber keine bedrohten Menschen hüten, gezwungen werden sollen, auch noch um Anstand, Moral und Hilfsbereitschaft eine Mauer zu bauen?

  • Sicherlich wurde Angst durch die Evolution selektiert, weil sich dadurch die Überlebenschancen erhöhten. Aus Angst folgt dann Flucht oder der Gegenangriff.

  • Kein wunder, dass ausgerechnet der herr H. P. Lovecraft diesen satz gesagt hat. Er ist ein extremer rassist gewesen! Schade eigentlich, früher mochte ich seine horrorstories ganz gerne...

  • Ich finde dieses Hype-Wort (seit 2007) „Zivilgesellschaft“ verdummend und es führt in die Irre, wie auch diese Einschätzung von Frau Maier: „man (kann) die Boshaftigkeit der Rechten erklären: Sie ist der Ausdruck ihrer eigenen Angst vor dem Unbekannten. Aber unbekannt ist der Bürgergesellschaft eben auch die neue Brutalität von Mitterechts.“

    Unbekannt, wie bitte? Es gab ua. Düsseldorf (1959), West-Berlin (1969), Eberswalde (1990), Rostock-Lichtenhagen (1992), Mölln (1992), Hoyerswerda, München (2003), Dortmund, Köln (2015) und vor allem viele Ereignisse in der deutschen und europäischen Geschichte in den letzten 100 Jahren.

    Es gibt langjährige Studien und Erfahrungen, daß der Rassismus, die Intoleranz in der Mitte der Gesellschaft angekommen bzw. weiterhin vorhanden ist. „Immer dann, wenn der Wohlstand als Plombe bröckelt, steigen aus dem Hohlraum wieder antidemokratische Traditionen auf“, so 2008 der Psychologe Oliver Decker.

    Es ist der Sündenbock-Mechanismus, der seit Jahrtausenden kultiviert und gepflegt wird, weil nutzbar für die Herrschenden, um von Versäumnissen, Defiziten, falschen Versprechen, sicht- und erlebbaren Lügen … abzulenken. Es ist nicht nur „die Banalität des Bösen“ Hannah Arendt (1963), sondern es gilt auch dies: „Schützt Humanismus denn vor gar nichts?“ (Alfred Andersch, Der Vater eines Mörders, 1980), denn es ist nicht nur der vermeintliche „Pöbel“, sondern es ist der gewöhnliche, der scheinbar bürgerliche Mensch dieser vermeintlichen „Bildungsrepublik (Merkel, 2008).

  • Wieso “können” Helfer nicht ausreichend beschützt werden?

     

    Werden die ganzen Polizisten gerade für den nächsten G8-Gipfel zusammengezogen, oder hat etwa Blockupy wieder eine Aktion im Frankfurter Bankenviertel angekündigt?

  • Wenn Angst die Menschen klüger, empathischer und/oder offener machen würde, gäbe es kein Flüchtlingsproblem. Dann wären überall, wo jetzt noch Krieg ist, Hunger, Elend und Unterdrückung herrschen, längst Frieden, Wohlstand und Freiheit eingekehrt. Angst, schließlich, gibt es da genug. Sie hilft bloß niemandem. Das "älteste und stärkste" aller Gefühle macht die allermeisten Menschen nämlich weder klug noch emphatisch oder offen. Es macht sie dumm, egoistisch und verschlossen. Nur ein paar Wenige macht die Angst außerdem auch noch verdammt reich und berühmt.

     

    Wäre H. P. Lovecraft als glückliches Kind in einer intakten Familie aufgewachsen, hätte er sein Talent womöglich nicht an Horror-Geschichten verschwendet. Er war nicht glücklich. Er wollte sterben. Kein Wunder, dass das Glück seiner Leser ihm nicht sonderlich am Herzen lag. Seinem Erfolg hat dieser Mangel an Empathie kaum geschadet. Aber den deutschen Politikern, Unternehmern oder Wissenschaftlern, die gerade an der Lösung eines klitzekleinen Integrationsproblems (ein Flüchtling auf einhundert Wohlstandsbürger) scheitern, schadet ihr Mangel an Empathie ja auch nicht. Kein Wunder. Das Gerücht, Angst sei etwas Positives, ist fast so alt, wie die Angst selber. Es wird von denen verbreitet, die davon leben, und es wird kaum hinterfragt. Auch nicht in der taz.

     

    Leider schaffen es die wenigsten Leute, all ihre (von geltungssüchtigen Menschen geschürten) Ängste dauerhaft zu überwinden. Die allermeisten scheitern immer wieder. Scheitern aber ist nicht erlaubt in unserer Sieger-Welt. Wer scheitert, tut das ungern öffentlich. Es gibt deshalb keine Kultur des Scheiterns. Es gibt nur eine Kultur des Siegens. Und die wird von Leuten überliefert, die auf der Angst Anderer ihren ganz privaten Wohlstand gegründet haben. Klug, empathisch oder auch nur offen sind diese Leute selten. Dafür aber ideale Vorbilder für besorgte Wutbürger und aggressive Neonazis.

    • @mowgli:

      Guter und intelligenter Beitrag! Angst ist meist kein guter Ratgeber. Vorsicht kann auch nicht schaden. Dumm werden beide nur, wenn sie sich an die falsche Adresse wenden, nämlich an die, deren Stärke aus der Mitte einer pöbelnden Menge kommt. Die nicht den Mut haben sich auf Diskussionen einzulassen und aufmerksam zuzuhören, auf Gesagtes einzugehen. Die nur Frust herausschreien und sich stark fühlen, wenn sie aus der Menge heraus und mit der Menge hasssprühende Aktionen verüben, um Angst zu verbreiten. Wehe, wenn sie aus ihrem "Rausch" aufwachen. Der Kater wird erbärmlich und demütigend werden. Deshalb unterdrücken sie in sich den Gedanken, dass sie sich weit unterhalb ihres Niveaus auf primitivste Ebenen begeben. Dort werden nämlich Hass und Gewalt positiv bewertet und man weidet sich an der Angst und der Einschüchterung der anderen und pflegt wieder lange unter dem Mäntelchen des selbstlos sorgenden Wutbürgers verborgene, heimlich gehütete ungenannte Altherren-Großmachtsträume ....

  • Nein, Frau Maier, dies alles hat gar nichts Gutes und als Entschuldigung dafür, dass der Staat (das sind bekanntlich wir zusammengenommen) dieses Klima der Angst sehenden Auges billigend in Kauf nimmt, taugt es schon gar nicht. Die größten Feinde der Zivilisation standen immer und stehen auch heute wieder rechts. Da nutzen auch noch so angestrengte Bemühungen, sie unentwegt links bekämpfen zu wollen, herzlich wenig.