Rot-grüner Senat: „Wir haben einen Dissens“

Von den Grünen ist in der Koalition wenig zu hören. Das täuscht, sagt Fraktionschef Anjes Tjarks. Vor allem in der Flüchtlingspolitik wird gestritten.

Wie Menschen willkommen heißen? In dieser Frage sind sich Rot und Grün nicht einig. Foto: dpa

taz: Herr Tjarks, gibt es die rot-grüne Koalition überhaupt noch? Man hört so gar nichts.

Anjes Tjarks: Wir arbeiten sehr intensiv an den Themen Bürgerbeteiligung, Radverkehr und Umweltpolitik – und natürlich am aktuell dominierenden Thema Flüchtlingspolitik.

Aber speziell die Grünen agieren lautlos. Oder nicken sie alles ab, was SPD-Bürgermeister Olaf Scholz will?

Bei der Flüchtlingspolitik steht bei uns stark der Gedanke der Integration im Fokus. Da leisten wir Grüne große Beiträge: das Forum Flüchtlingspolitik, verbesserte Möglichkeiten für Kinder, Kitas und Schulen zu besuchen, oder auch verstärkten Wohnungsbau.

34,der Lehrer war 2008 bis 2011 Vize-Landesvorsitzender der Hamburger Grünen und ist seit 2015 der Fraktionsvorsitzende seiner Partei.

Das geschieht offenbar alles im stillen Kämmerlein, nach draußen dringt davon fast nichts.

Wir wollen die Wohnungsbauzahlen sehr deutlich erhöhen. Und wir betonen sehr klar, dass die Menschen, die dauerhaft in Hamburg bleiben, eine vernünftige Perspektive und Chancen auf Integration erhalten.

Akzeptieren die Grünen die Forderung von SPD-Bürgermeister Olaf Scholz, Mazedonien, Albanien und Kosovo zu sicheren Herkunftsländern zu ernennen?

Wir sind von dieser Idee nicht überzeugt. Das verringert nicht die Zahl der Flüchtlinge aus diesen Ländern und führt auch nicht zu einer Beschleunigung der Verfahren.

Akzeptieren die Grünen die Forderung des Bürgermeisters, Sonderlager für Flüchtlinge aus dem Westbalkan ohne Bleibeperspektive einzurichten und sie schneller abzuschieben?

Das ist nicht unser Ansatz. Wir werben dafür, dass Flüchtlinge gleich mit der Registrierung eine Beratung über die Chancen ihres Asylantrages erhalten – gerade auch mit dem Ziel einer freiwilligen Ausreise. Das würde die Verfahren deutlich beschleunigen.

Also gibt es in der rot-grünen Koalition in diesen Fragen einen Dissens?

In der Tat.

Wie soll der gelöst werden?

Wir sprechen miteinander.

Auch über die Perspektive der Zuwanderung und Arbeitsimmigration von Fachkräften?

Das ist ein wichtiger Punkt. Deutschland hat ja auch eine Verantwortung für die Stabilisierung der Länder auf dem Westbalkan. Zudem brauchen wir endlich ein Zuwanderungsgesetz, dass diese Fragen sinnvoll regelt – durchaus auch mit speziellen Zuwanderungskorridoren für diese Länder.

Ein grünes Kernressort ist traditionell die Umweltpolitik. Da haben die Grünen in diesem Senat noch gar nichts geboten.

Im Gegenteil. Wir bringen in realen Schritten den grünen Hafen voran, zum Beispiel mit der Flüssiggas- und Landstromversorgung für Schiffe. Wir arbeiten an einem neuen Luftreinhalteplan und am Ersatz für das Kohlekraftwerk Wedel.

Der grüne Umweltsenator Jens Kerstan hat bislang als einzige Amtshandlung die Umweltzone für überflüssig erklärt.

Verkehrspolitik liegt im Ressort der Wirtschaftsbehörde. Und da sind wir Grüne es, die auf die reale Umsetzung der Radverkehrsstrategie drängen mit dem Neubau von 50 Kilometer Radwegen pro Jahr und dem Ausbau aller Velorouten.

Es entstand der Eindruck, die grüne Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank bestimmt die Verkehrspolitik mit schwul-lesbischen Ampelpärchen.

Sie hat damit als Gleichstellungssenatorin ein Zeichen gesetzt. Als Wissenschaftssenatorin ist sie vor allem damit beschäftigt, eine neue Kommunikationskultur mit den Hochschulen zu etablieren. Mit dem Vorgängersenat gab es Auseinandersetzungen, jetzt gibt es einen Dialog auf Augenhöhe.

Ein drittes urgrünes Thema sind Bürgerrechte und Bürgerbeteiligung. Da hätten die Grünen bei Flüchtlingsunterkünften oder Windanlagen viel zu moderieren.

Diese Regierung hat durch uns Grüne einen starken Schub in diese Richtung bekommen. Da ist zum einen das Referendum über die Olympia-Bewerbung und zum anderen die Allianz gegen Fluglärm. Wir sorgen für eine andere Gesprächskultur mit den Menschen vor Ort. Auch bei den Flüchtlingsunterkünften würden wir das gerne noch intensivieren. Allerdings ist der Handlungsdruck so groß, dass es hier leider nur noch um das Wie geht, nicht mehr um das Ob.

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