Karim El-Gawhary über die neue Offensive des IS in Ägypten: Das Elixier der Dschihadisten
Es war nicht nur eine neue Serie von Anschlägen militanter Islamisten gegen die ägyptische Armee im Sinai. Was am Mittwoch im Nordsinai nur wenige Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen geschah, hat eine neue Qualität. Statt wie üblich bei Militärkontrollpunkten und Polizeistationen zuzuschlagen und sich dann schnell wieder zurückzuziehen, lieferten sich die Militanten stundenlange Schlachten mit dem Militär. Die Armee musste nahezu ihr ganzes Arsenal aufbieten, um die Kontrolle wieder auszuüben.
Tatsache eins: In zwei Jahren ist es der Armee und Präsident Abdel Fatah al-Sisi nicht gelungen, die Lage im Nordsinai zu befrieden. Im Gegenteil, der dortige Kleinkrieg eskaliert. Gut trainierte und gut gerüstete Dschihadisten, die offensichtlich teilweise die Unterstützung der lokalen beduinischen Bevölkerung genießen, machen der Armee das Leben immer schwerer. Wie militärisch und strategisch geschickt die Dschihadisten vorgehen, könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass sich in ihren Reihen inzwischen auch übergelaufene ägyptische Sicherheitsleute und Militärs befinden.
Tatsache zwei: Die Dschihadisten operieren im Namen des IS. Nicht deren Staat und Kalifat vergrößert sich, sondern deren Operationsgebiet, in dem sich ihr immer mehr militante Gruppierungen anschließen. Die lokalen Gruppierungen, die dem IS die Treue schwören, erhöhen damit ihr internationales Dschihad-Image, und der IS eröffnet damit immer mehr Zweigstellen.
Insofern können die 15 koordinierten Angriffe der Dschihadisten im Nordsinai als ein Teil der IS-Ramadan-Offensive angesehen werden. Sie kann in einem Atemzug genannt werden mit dem Anschlag auf einen Strand in Tunesien, dem Bombenanschlag auf eine schiitische Moschee und dem Versuch, die syrisch-kurdische Stadt Kobani zurückzuerobern.
Die Botschaft ist klar und deutlich. Der IS kann überall zuschlagen: gegen Strandtouristen, schiitische Moscheengänger, kurdische Peschmerga und eben auch gegen die größte arabische Armee im bevölkerungsreichsten arabischen Staat. Möglich geworden ist das, weil der IS die inneren Widersprüche der arabischen Welt ausnutzen kann. Sie sind sein Nährboden. 75 Prozent der Jugendlichen Tunesiens sind nicht zu den letzten Wahlen gegangen. Desillusioniert von den Versprechungen nach sozialer Gerechtigkeit, stellen sie das Gros der Arbeitslosen im Land und sind eine leichte Beute für die Rattenfänger des IS. Die bilden sie in Libyen aus und schicken sie in den Irak oder nach Syrien.
Und so ist es kein Problem, einen 23-jährigen Studenten zu finden, der nur mit einer Kalaschnikow bewaffnet ein Massaker an einem Strand anrichtet. Oder der saudische Attentäter, der sich in einer Moschee in Kuwait in die Luft gejagt hat, indoktriniert von der saudischen Staatsideologie, die Schiiten bestenfalls als Bürger zweiter Klasse, schlimmstenfalls als auszurottende Religionskonkurrenz sieht.
Es ist das saudische Gift, das die Köpfe so vieler Jugendlicher am Golf zerstört. Im Irak rekrutiert der IS aus der Gruppe der politisch und wirtschaftlich von der Zentralregierung an den Rand gedrängten Sunniten, in Syrien junge Männer, die auf die radikalste aller Arten das Regime Baschar Assad zu bekämpfen glauben. In Ägypten verkauft sich der IS Jugendlichen als die effektivere Alternative zu den Muslimbrüdern.
Zwei Bilder wurden vor Kurzem über die sozialen Medien des IS verbreitet: eines mit der gesamten Führung der Muslimbrüder im Gerichtskäfig, während die Todesurteile gegen sie gefällt wurden, und ein anderes mit einem IS-Dschhadisten im Nordsinai neben einem toten ägyptischen Soldaten, begleitet mit dem Text: „Sucht es euch aus, was ist besser?“. So muss man sicher mit Sorge darauf sehen, wie sich der IS allerorten in der arabischen Welt ausbreitet.
In jedem Fall muss man sich dem IS auch militärisch entgegenstellen. Besiegen lässt er sich aber erst, wenn sich die Bedingungen verändern, die zu seiner Entstehung und Ausbreitung beigetragen haben.
Die arabischen Widersprüche aufzulösen ist keine militärische, sondern eine politische Aufgabe. Doch kein arabisches Regime und keine Regierung ist derzeit dieser Herausforderung gewachsen.
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