Studie zum Weltbild von Muslimen: Ausgegrenzt und radikalisiert

970 Muslime wurden für eine Studie interviewt. 40 Prozent schätzen die Ge- und Verbote im Koran, 6 Prozent sind gar gewaltbereit. Dies ist aber auch Folge gesellschaftlicher Versäumnisse.

Muslime in Deutschland leiden auch unter falscher Integrationspolitik Bild: dpa

BERLIN taz Als besonders feinfühlig kann man das Innenministerium nicht bezeichnen. Denn die dort in Auftrag gegebene Studie "Muslime in Deutschland" erscheint pünktlich zum islamischen Opferfest, das seit Donnerstag begangen wird. Und als Grußwort zum Fest ist die Studie kaum zu lesen. Sie hat es in sich - und wird für Kontroversen sorgen.

14 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime vertreten laut der Studie radikale Einstellungen: Sie lehnen Demokratie und Rechtstaatlichkeit ab oder akzeptieren sogar politisch-religiös motivierte Gewalt. Und: Je höher die Religiosität ist, desto höher ist die Distanz zur Demokratie. Für Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist die Schlussfolgerung klar: Die Studie, die sein Vorgänger Otto Schily (SPD) in Auftrag gegeben hatte, komme zu dem "besorgniserregenden Ergebnis, dass sich in Deutschland ein ernstzunehmendes islamistisches Radikalisierungspotenzial entwickelt hat".

In der Tat ist die vom Institut für Kriminalwissenschaften der Uni Hamburg durchgeführte, 501 Seiten dicke Analyse wichtig. Ist sie doch die erste Studie seit zehn Jahren, die die Einstellungen von Muslimen genauer beleuchtet. Doch einfache Schlussfolgerungen erlauben die Ergebnisse kaum. 970 Muslime in Berlin, Hamburg, Köln und Augsburg wurden für die Studie interviewt, etwa drei Viertel von ihnen stammten ursprünglich aus der Türkei, 15 Prozent aus Iran, Irak, Afghanistan, Pakistan oder anderen arabischen Ländern.

Rund 40 Prozent der Befragten bescheinigen die Autoren fundamental-religiöse Orientierungen: Den Geboten und Verboten im Koran wird ein hoher Stellenwert beigemessen, die Religion bestimmt stark den Alltag, und der Islam wird pauschal aufgewertet im Vergleich zur christlich-westlichen Kultur. Das Etikett des "Fundamentalismus" oder "Islamismus", bei dem Andersgläubige und -denkende extrem abgewertet werden und das Recht der Scharia über die Demokratie gestellt wird, bekommen jedoch nur 6 Prozent.

Einzelne Aussagen erhalten jedoch erstaunlich hohe Zustimmung: Mehr als 40 Prozent der interviewten Muslime teilten die Auffassung: "Muslime, die im bewaffneten Kampf für den Glauben sterben, kommen ins Paradies." Doch die Autoren warnen davor, diese Aussage zu verallgemeinern. Denn eine Legitimation von Selbstmordattentaten oder Terroranschlägen würden von weit mehr als 90 Prozent der Befragten klar abgelehnt. Doch am Ende bleibt eben jene "Problemgruppe" mit radikalen Einstellungen, wie Autor Peter Wetzels sie nennt. "Eine Minderheit unter den Muslimen", sagt der Sozialforscher. "Aber sie existiert."

Warum das so ist, haben Wetzels und seine Mitautorin Katrin Brettfeld auch untersucht. Die Ergebnisse verdeutlichen die Versäumnisse der deutschen Gesellschaft - und ein Versagen der Integrationspolitik. Zwei Drittel der befragten Muslime zeigen eine hohe Bereitschaft, sich an die deutsche Mehrheitskultur anzupassen - gleichzeitig berichtet etwa die Hälfte von fremdenfeindlichen oder diskriminierenden Ereignissen, jeder zwölfte von gewalttätigen Übergriffen.

Unter den antidemokratischen Muslimen gehören 60 Prozent zu der Gruppe der wirtschaftlich und sozial Ausgeschlossenen. Sie haben eine niedrige Bildung und schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Für eine andere Gruppe von oft gut gebildeten und stark religiösen Muslimen führen die Wissenschaftler hingegen andere Gründe der Radikalisierung an: Die Wahrnehmung einer kollektiven, weltweiten Benachteiligung der Muslime, die sich etwa in den Kriegen im Irak und Afghanistan oder dem Nahostkonflikt manifestiere.

Das Potenzial der Radikalisierbaren ist mit rund einem Siebtel unter den Muslimen in etwa so hoch wie das Rechtsextremismus-Potenzial in der deutschen Gesellschaft, wie es in anderen Studien ermittelt wurde. Für die Studie für das Innenministerium haben die Autoren deshalb auch noch eine umfangreiche Zusatzbefragung unter fast 2.700 Schülern der neunten und zehnten Klasse angestellt - sowohl unter muslimischen als auch nichtmuslimischen Jugendlichen. Die Parallelen sind eindeutig. Etwa ein Fünftel der nichtmuslimischen Jugendlichen vertritt Vorurteile gegenüber Muslimen, indem diese pauschal als intolerant und gewaltbereit angesehen werden, 14 Prozent wird Fremdenfeindlichkeit bescheinigt. Autoritäre oder antidemokratische Einstellungen seien bei vergleichbarer sozialer Lage bei jungen Muslimen nicht häufiger anzutreffen. "Es handelt sich also nicht um ein für junge Muslime spezifisches Phänomen", heißt es in der Studie.

Besorgniserregend ist jedoch die hohe Akzeptanz von Gewalt, die unter jungen Muslimen herrscht. Jeder vierte schließt Gewalt nicht aus, wenn diese der islamischen Gemeinschaft dient.

Für den Wissenschaftler Peter Wetzels gilt es nun, ähnlich wie gegen Rechtsextremismus spezielle Präventionsprojekte zu entwickeln, die die Entstehungsgründe von antidemokratischen und radikal-islamischen Einstellungen bei Muslimen berücksichtigen. Dies gehe allerdings nur in Zusammenarbeit mit den muslimischen Verbänden und Organisationen.

Die waren am Donnerstag allerdings nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Wahrscheinlich wegen des Opferfests.

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