Kommentar Niederlande: Streiten, gerade wenn man Krieg führt

Auch das deutsche Parlament muss den Zwang zum Konsens in Sachen Afghanistan-Einsatz aufgeben und wieder Argumente austauschen.

Zur Demokratie gehört die Uneinigkeit. Und im Zweifelsfall führt dieser Dissens zum Bruch einer Koalition. Die niederländischen Sozialdemokraten haben einen solchen Schritt jetzt vollzogen. Ihr Bestehen auf dem Abzug der Truppen aus den Kampfeinsätzen in Afghanistan ließ das Regierungsbündnis in Den Haag platzen.

In Deutschland, wo in dieser Woche wieder einmal über eine Ausdehnung des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr entschieden wird, ist solch eine Entwicklung bislang undenkbar. Über Haushaltskürzungen oder Wirtschaftsreformen dürfen Parteien sich profilieren und wenn nötig Koalitionen zerbrechen lassen. Aber hier geht es ums Kriegführen. Und da gelten in Deutschland ganz andere ungeschriebene Regeln. Nicht weil die Öffentlichkeit dem Militär unkritisch gegenüberstünde - im Gegenteil: Gerade weil es in der Bevölkerung eine große Skepsis gegenüber den militärischen Auslandseinsätzen gibt, haben die Interventionsbefürworter sich nie getraut, eine sachliche und ergebnisoffene Debatte zu führen. Stattdessen gab es Dogmen.

Deshalb darf keiner aus der ganz großen Koalition der Interventionsbefürworter im Parlament ausbrechen. Zwar wird stets betont, wie wichtig es für die Bundeswehr und für das Land sei, dass die deutschen Streitkräfte eine Parlamentsarmee darstellen und dass jeder Einsatz im Ausland also der ausdrücklichen Zustimmung des Bundestags bedarf. Doch was ist solch ein Verfahren wert, wenn das Ausbrechen aus diesem vermeintlichen Konsens als Verrat gebrandmarkt wird? Eine sachliche Auseinandersetzung kann so nicht stattfinden.

Von der "holländischen Krankheit" sprach man in den frühen 80er-Jahren, als der damalige deutsche Allparteienkonsens zur Doktrin der atomaren Abschreckung zu bröckeln begann. Damals lernten die Deutschen von ihren niederländischen Nachbarn, ein bis dahin als unumstößlich geltendes militärpolitisches Dogma infrage zu stellen. Es gab wieder eine sachliche und offene Debatte. Ein Nein wurde wieder akzeptiert. Von so viel Freiraum ist Deutschland heute bei der Auseinandersetzung über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan weit entfernt. Das Tabu wird nicht angerührt. Dabei sollte das niederländische Beispiel daran erinnern, was solch ein Dissens über militärische Entscheidungen vor allem ist: eine demokratische Selbstverständlichkeit.

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