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Handelsabkommen ACTAProvider als Hilfssheriffs

Wer haftet für Urheberrechtsverletzungen im Netz? Kommt das Handelsabkommen ACTA, könnten die Provider haftbar gemacht werden. Bürgerrechtler warnen.

Filesharing? Power off. Bild: Guillermo R. de Loizaga – Lizenz: CC-BY-ND

95 Prozent aller Musikdownloads finden mittlerweile ohne Einverständnis der Urheber statt, sagt die Musikindustrie. Durch die digitale Revolution ist sie in wirtschaftliche Bedrängnis geraten. Ihre Antwort: Sie kämpft gegen das Kopieren von Filmen, Musik und Software, und deren Verbreitung über das Netz.

Doch nicht nur die Musikindustrie sieht sich betroffen. Allgemein ist die Verbreitung von Produkten, bei deren Herstellung es zu Urheberrechts- oder Patentverletzungen gekommen ist, in der globalisierten Wirtschaft ein ernsthaftes Problem geworden.

Die Organisationen für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) sagt, dass "durch Produktpiraterie" weltweit jährlich ein Schaden von mehr als 150 Milliarden US-Dollar entstehe. Rund 80 Millionen gefälschte Produkte wurden 2007 an den Grenzen der Europäischen Union beschlagnahmt. Der größte Teil dieser Waren stammte aus Asien.

China ist an den Verhandlungen für das Antipiraterie-Abkommen Acta nicht beteiligt. Acta steht für "Anti Counterfeiting Trade Agreement", ein Regelwerk, das seit 2007 zwischen vierzig Staaten aushandelt wird, um der Produktpiraterie Einhalt zu gebieten. Sollte Acta zum Zuge kommen, dürfte es die Informationsfreiheit im Internet gravierend einschränken. Das befürchten jedenfalls Netzaktivisten.

Offiziell dringt über die Acta-Gespräche so gut wie nichts nach außen. Als Begründung für ihre Geheimniskrämerei führt die EU-Kommission an, dass einige Staaten die Veröffentlichung von Dokumenten bei laufenden Verhandlungen ablehnen. Auf ihrer Website nennt die EU-Kommission lediglich die Themen, über die in den bislang sieben Verhandlungsrunden diskutiert wurde. Als Zeichen der Transparenz will die Kommission am 22. März in Brüssel eine öffentliche Acta-Informationskonferenz veranstalten.

Details aus den laufenden Verhandlungen bekamen bislang nicht einmal Mitglieder des Europäischen Parlamentes zu Gesicht. Ihnen wird der Zugang zu den Verhandlungsdokumenten verwehrt, während US-Konzerne wie Time Warner, IBM, Monsanto und General Motors vollständig auf die geheimen Papiere zugreifen können, wie aus Wirtschaftsberichten ersichtlich wird. Das gilt auch für die mehr als 100 Lobbyisten aus den Bereichen Unterhaltungsindustrie, Computersoftware, Buchverlage und Pharmaindustrie.

"Die Geheimniskrämerei rund um Acta ist nicht akzeptabel. Elementare Freiheitsrechte im Internet können nicht ohne Beteiligung der Betroffenen diskutiert werden", sagt der Jurist Thomas Hoeren, Professor für Telekommunikations- und Medienrecht an der Uni Münster, der taz. Ähnlich sieht das der renommierte kanadische Internetrechtler Michael Geist: "Hinter verschlossenen Türen wird ein internationales Urheberrechtsabkommen vereinbart, das 70 Prozent der Weltbevölkerung vor vollendete Tatsachen stellen soll."

Die beiden Juristen fordern wie auch Bürgerrechtsorganisationen und das Europäische Parlament, die Acta-Verhandlungen bedingungslos offenzulegen, denn einmal unterschrieben, müssten die Acta-Vorgaben in die nationalen Urheberrechtsgesetze der Acta-Mitgliedsländer übernommen werden.

Unabhängige Beobachter sind darauf angewiesen, dass immer mal wieder interne Acta-Dokumente im Internet lanciert werden. Vor einigen Tagen ist dort ein Acta-Entwurf mit dem Titel "Vollzugsmaßnahmen in der digitalen Welt" aufgetaucht. Er liegt der taz vor und beschreibt die Mechanismen, mit denen Urheberrechts- und Patentverletzungen international gestoppt werden sollen. Das Papier sorgt derzeit unter Netzaktivisten und Bürgerrechtlern für Aufregung.

"Das Dokument offenbart das ganze Horrorszenario des Acta-Abkommens", schreibt etwa Markus Beckedahl in seinem Blog netzpolitik.org. So sollen laut Acta-Entwurf die rechtlichen Bestimmungen darüber geändert werden, wer in Zukunft für Urheberrechtsverletzungen haften soll.

Hat die Medienindustrie bisher tausende Internetnutzer wegen des unerlaubten Kopierens von Musik oder Filmen juristisch verfolgt, so sollen künftig Internetprovider für ihre Kunden haften, wenn diese gegen das Urheberrecht verstoßen. Dieser Haftung können die Internetprovider gemäß dem dreiseitigen Acta-Entwurf nur entgehen, wenn sie sich verpflichten, die "Internetpiraterie" aktiv zu bekämpfen. Dazu sollen sie den Datenverkehr ihrer Netzwerke auf Urheberrechtsverletzungen durchsuchen dürfen. Nutzern, die wiederholt verdächtigt werden, gegen das Urheberrecht zu verstoßen, soll nach dem Acta-Entwurf der Internetzugang gekappt werden.

Datenschützer befürchten, dass Provider durch Acta genötigt werden könnten, den Datenverkehr permanent zu kontrollieren, um nicht selbst für die Handlungen ihrer Kunden haften zu müssen. "Die Provider werden so in die Rolle des Hilfssheriffs gedrängt", sagt Marcus Cheperu vom Verein Arbeitskreis Grundrechte, informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz (AK Daten) der taz. Die dafür nötigen Techniken gebe es bereits. "Automatische Verfahren wie die ,Deep Packet Inspection' greifen in den privaten Datenstrom der User ein und filtern dessen Inhalte nach allen denkbaren Kriterien", sagte Cheperu.

Der Medienrechtler Thomas Hoeren kritisiert den Acta-Entwurf ebenfalls. "Internetsperren und Providerhaftung sind verfassungsrechtlich bedenklich", meint Hoeren. Nach geltendem EU-Recht müssten Provider nur haften, wenn ihnen bekannt ist, dass sich auf ihren Systemen illegale Inhalte befinden, ohne dass sie etwas dagegen unternehmen. "Für eine umfassende Überwachung der Netznutzer gibt es in Europa keine rechtliche Grundlage", sagte Hoeren.

Tatsächlich schließt die europäische E-Commerce-Richtlinie derzeit die Haftung von Providern aus, solange sie keine Kenntnis von illegalen Inhalten haben. Internetanbieter, die "unverzüglich tätig" werden, um Urheberrechtsverstöße aus ihren Systemen zu entfernen, sind demnach ebenfalls von einer Haftung freigestellt.

Auch Bürgerrechtler mobilisieren gegen Acta. Die Free Software Foundation kritisiert ebenfalls, Acta führe zu einer "Kultur der Überwachung und Verdächtigung". Ein Bündnis von mehr als 50 europäischen Organisationen aus den Bereichen Bürgerrechte, Verbraucherschutz und Internetwirtschaft hat die Initiative in einem offenen Brief als "eine globale Bedrohung der Freiheit" kritisiert. Zu den deutschen Mitgliedern der Allianz zählen unter anderen der Chaos Computer Club, Reporter ohne Grenzen und die Datenschützer vom Verein FoeBuD. Das Abschalten von Internetzugängen wegen Verstößen gegen das Copyright ist bisher nur in Frankreich und den USA möglich ("Three strikes and you are out") - doch sie ist juristisch umstritten.

Die Bundesregierung erklärte jüngst in ihrer Antwort auf eine Acta-Anfrage der Linken im Bundestag, sie lehne "Internetsperren bei möglichen Urheberrechtsverletzungen als den falschen Weg zur Bekämpfung dieser Verstöße ab und wird sich für diese Position, falls nötig, auch in den Verhandlungen zu Acta einsetzen".

Das EU-Parlament hat Netzsperren ebenfalls als Verstoß gegen das Grundrecht auf Informationsfreiheit kritisiert und bekommt durch ein Gutachten des juristischen Dienstes der EU-Kommission Rückendeckung. Auch der oberste Datenschützer der EU, Peter Hustinx, veröffentlichte kürzlich einen 20-seitigen Brandbrief gegen die Acta-Pläne und die konspirative Vorgehensweise. Mitte Januar machte die zukünftige Grundrechtekommissarin Viviane Reding ebenfalls ihre kritische Haltung zu Acta deutlich.

Die EU-Kommission bestätigt auf taz-Nachfrage, dass sich durch Acta an der geltenden europäischen Rechtslage nichts ändern solle. "Spekulationen über die massive Einschränkung von Bürgerrechten entbehren jeder Grundlage", teilte die EU-Kommission der taz mit. "Die Kommission wird sicherstellen, dass Acta mit der jetzigen europäischen Gesetzgebung zum Schutz der Rechte von Urhebern in Einklang sein wird." Es werde keine "Harmonisierung durch die Hintertür geben", teilte die Kommission der taz mit.

Allerdings gibt es auch Anzeichen dafür, dass eine klare Position zu Acta innerhalb der EU-Institutionen brüchig ist. So haben die Kommission und der Europäische Rat - allen Mahnungen und Resolutionen des Europäischen Parlamentes zum Trotz - bislang nichts an der geheimen Natur der Acta-Konsultationen geändert. Die Acta-Verhandlungen würden "nicht in die Zuständigkeit des Europäischen Parlamentes fallen", heißt es in dem Kommissionsentwurf kategorisch.

Datenschützern reichen Nachbesserungen indes nicht aus, denn sie halten das ganze Projekt für einseitig interessengeleitet. "Acta ist der Versuch der Medienindustrie, ihre alten Besitzstände in das 21. Jahrhundert hinüberzuretten", sagt Marcus Cheperu vom AK Daten. Für ihn ist Acta ein anachronistisches Vorhaben. "Das kann keine Antwort auf die Erfordernisse der Informationsgesellschaft sein. Sie lebt davon, Wissen schnell zu verbreiten", sagte Cheperu.

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5 Kommentare

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  • V
    voglkopp

    Ich frage mich, warum hier kein Kommentar erscheint.

    Es ist doch mehr als unwahrscheinlich, daß dieses thema seit 24h Keinen interessiert.

    Wozu braucht so ein Forum auch einen "Redakteur"?

    Jeder unangebrachte Beitrag disqualifiziert sich von selbst.

    Aber soviel Vertrauen in den Intellekt seiner Leser scheint die TAZ wohl nicht zu haben.

    Wohl auch hier sitzen die Logenvertreter an den entscheidenden Stellen, wie es ausschaut, um freie Meinungsäußerung zu unterdrücken und zu sabotieren, damit die Diktatur weiter gedeihen kann.

    Schickes Mäntelchen, Eure TAZ, aber leider auch hier ein fauler Kern.

    Ich bete, Herr oder Frau Zensoredakteur, daß Du schlecht schläfst und daß Du Dich unversehens in einem Strom der Liebe wiederfindest, der Dich armes degeneriertes Menschlein daran erinnert und fühlen läßt, daß jedes Wesen dem anderen gleichgestellt ist und WIR ALLE EINS SIND.

    Möge die Wahrheit und das Licht in Deinem Herzen erwachen!

    So sei es.

    piep piep

    Heil!

  • EZ
    Erik Zill

    das acta wird in vorauseilendem gehorsam in teilen schon von yahoo- und möglicherweise anderen diensten- umgesetzt.

    wie widerlich!

    ich habe heute neue geschäftsbedingungen erhalten, die darauf hinweisen.

    nach diesem artikel schaffe ich mir meine eigene domain.

    es ist offensichtlich, was hier beabsichtigt wird:

    die tilgung unliebsamer inhalte im netz, will heißen:

    freie und unabhängige berichterstattung zugunsten der aufklärung des mündigen menschen als grundlage der demokratie. sowas ist ja kaum noch zu bekommen außerhalb des www. alles wird nur noch nachgeplappert und verdreht.

    die taz ist da oft noch ein licht in finstrer nacht.

    aber wirklich fundierte hintergründe und zusammenhänge zu den tagesnachrichten sind auch hier viel zu selten. politik gegen den willen und das wohl vieler kann man nur mit informationskontrolle aufrechterhalten.

    was richtig und geduldet ist, entscheidet dann der provider und irgendwelche dubiosen gremien.

    wir erleben seit langem, daß maßnahmen, die unsere rechte und die anderer beschneiden, mit dem schutz derselben begründet wird, zb auslandseinsätze der "verteidigungsarmee" bundeswehr und flächenüberwachung aller bürger zum schutz vor angeblich islamischem terror. uns soll zunehmend nur noch die "Freiheit" zu glauben, zu kaufen, zu funktionieren und geschröpft zu werden bleiben.

    die taktik ist simpel:

    erschaffe ein problem oder ein scheinproblem, mach den leuten angst und biete gleichzeitig eine lösung an.

    sie kommen gerannt wie die lemminge! auch das geht nur mit informationsmonopol. das nennt man propaganda. punkt.

    wenn dieses abkommen verabschiedet würde, wärs gänzlich vorbei mit der ohnehin schon stark attackierten informationsfreiheit. inhalte verschwinden schon jetzt zu hauf auf mysteriöse weise aus dem internet. dann gäbe es eine rechtliche grundlage dafür und herrn schäubles kommentar zur ausspähung der privatssphäre via internet zu seinen zeiten als innenminister im frühstücksfernsehen würde wieder einmal anwendung finden:" bis jetzt haben wir das so gemacht, jetzt haben wir eine rechtliche grundlage."

    und wieder ein schritt näher hinein in die totalitäre wunschtraumwelt einer kranken sogenannten elite mit faschistischen phantasien.

    das ist kein handelsabkommen, sondern ein abkommen einer kleinen gruppe zur INFORMATIONSKONTROLLE ERGO MENSCHENKONTROLLE und ein todesurteil für die verbleibende freiheit. eine verschwörung wie sie im buche steht.

    "sagt ein schwein zum andern: du, der bauer nährt uns nur so gut, weil er uns am ende schlachten und fressen will! sagt das andere: ach quatsch! hau ab du mit deinen verschwörungstheorien!"

    WACHEN WIR ENDLICH AUF!!!

    volksvertreter vertreten genauso wenig das volk wie zitronenfalter zitronen falten.

    das ist alles theater!

    regierungen sind nur dazu da, menschen zu kontrollieren.

    WIE LANGE WOLLEN WIR DAS NOCH MITMACHEN?

    und wie kann das sein, daß hier noch kein kommentar erschienen ist?

    interessiert das etwa keinen?

  • L
    Label©

    ##Patentrechte und sog. "Schutz geistigen Eigentums" sind schon an sich eines der größten Hemnisse menschlichen Fortschritts. Mensch denke nur an patentierte Herstellungsverfahren bzw. Wirkstoffzusammensetzung für Medikamente, die ganz direkt Menschen (nicht nur) in der 3. Welt für den Profit in den Tod treiben.

    Aber soweit braucht mensch nicht zu schauen: Sehe ich Bilder vom Hamburger Hafen, wo täglich tonnenweise nagelneue Gebrauchsgeg,enstände (Hosen, Uhren usw.) vernichtet werden, weil ein copyright-geschütztes Markenlabel "fälschlicherweise" draufgedruckt ist, dann kriege ich das Kotzen.

    Wer sich in bezug auf die Durchsetzung von "Urheberrechten" o.ä. vor allem an Datenschutzkriterien stößt, betreibt zwangsläufig eine verkürzte Kritik.##

  • Z
    Zipf

    Hallo,

    seit Monaten ueberlege ich mir, ob es ueberhaupt lohnt sich weiterhin an Diskussionen zu beteiligen

    die das Netz betreffen. Aber wie schon weise Minister

    kundgetan "... wer nichts Boeses im Schilde fuehrt,

    hat auch nichts zu verbergen... " Da ich Schriftzeichen nutze, die nicht von mir stammen,

    Melodien traellere deren Toene teilweise schon Bach,

    Beethoven usw. intonierten und Bilder von "Stars" vor

    Augen habe, an die ich keine Tantiemen zahlte, werde ich mir aber zunehmend unsicher ob ich das ueberhaupt darf; bzw. wie lange noch. Sauerstoff brauche ich, wem gehoert der? Natuerlich nutze ich das Internet, um mich zur Schau zu stellen. Um Allen zu zeigen was fuer ein toller Typ ich bin :),

    aber immer mit dem Gedanken im Hinterkopf mich endlich dafuer bezahlen zu lassen. Also bitte lest diese Zeilen nur nachdem genuegend Kohle auf meinem Konto eingegangen ist, denn ich moechte auch endlich mal vom Bekanntheitsgrad der taz

    partizipieren ohne etwas dafuer getan zu haben.

    Ist ja nicht meine taz, mein blog, mein internet. Ich nutze es halt als Daseinsberechtigung. Habe mir noch nie darueber Gedanken gemacht wer es eigentlich betreibt, wem es gehoert. Noch mit keinem Wort denen gedankt, die mich taeglich inspirieren, Denen die mich lesen, mir zuhoeren.

    fuer mich wird am Ende wohl auch nur bleiben, Sie

    zu gaengeln, zu noetigen, zu verunglimpfen, bedrohen. Sie abzuschalten, ueber Sie herrschen zu wollen, zu klagen, jammern, verklagen. Kurzum

    das ganze endlich ins Negative zu wandeln...

    Euer Zipf

  • M
    Mike

    Kein Mensch käme auf die Idee, den Kapitän eines Frachters, für den Inhalt der Container verantwortlich zu machen.