Druck beim Apple-Lieferanten: Die dunkle Seite des iPads
Die Firma Foxconn produziert in China für den Apple-Konzern das iPad. Eine Reihe von Selbsttötungen in der chinesischen Belegschaft zeigt die Arbeitsbedingungen in den Fabriken der Elektronikindustrie.
Fans des kalifornischen Technologiekonzerns Apple fiebern dem für Freitag geplanten Verkaufsstart des Tablet-Computers iPad in Deutschland entgegen. Außerdem munkelt man, dass Apple bei seiner diesjährigen Entwicklerkonferenz Anfang Juni in San Francisco sein neues iPhone 4G vorstellen werde. Allein bis Jahresende sollen davon 28,5 Millionen Stück produziert werden, und zwar wie schon bisher in den chinesischen Niederlassungen des taiwanesischen Elektronikproduzenten Foxconn. Dort wird auch das iPad hergestellt, das in den USA allein in den ersten 28 Tagen eine Million Mal verkauft wurde.
Die Spannung in Foxconns gigantischem Fabrikkomplex im südchinesischen Shenzen ist anders geartet als bei den Fans des Konzerns mit dem angebissenen Apfel, der gemessen am Börsenwert gerade Microsoft als weltgrößte Technologiefirma abgelöst hat. Bei Foxconn geht momentan alles darum, ob es dem Produzenten für Apple und andere Elektronikweltmarken gelingt, die Serie von Selbsttötungen unter seinen chinesischen Beschäftigten zu beenden.
Im Mittelpunkt steht der Fabrikkomplex Longhua in Shenzen - zahlenmäßig die größte Fabrik der Welt. Eine "Stadt in der Stadt" mit Läden, Banken, Post, Kantinen, Schwimmbädern und Internetcafés, wo mehr als 300.000 Menschen arbeiten. Die meisten von ihnen sind junge Wanderarbeiter und -arbeiterinnen. Sie leben in Wohnheimen mit Massenschlafsälen.
Firma: Foxconn ist der weltgrößte Hersteller von Elektronikgeräten und -komponenten und gehört zum taiwanischen Konzern Hon Hai aus Taichung bei Taipeh. Hon Hai wurde 1974 gegründet und wird wie Foxconn vom 59-jährigen Gründer Terry Gou geleitet. Gou ist mit einem auf 5,9 Milliarden US-Dollar geschätzten Vermögen der reichste Taiwaner.
Auftraggeber: Für Foxconn arbeiten weltweit 800.000 Menschen, davon mehr als 400.000 in China. Mehr als 300.000 Mitarbeiter arbeiten allein im Industriekomplex Longhua in der südchinesischen Sonderwirtschaftszone Shenzhen bei Hongkong. Longhua gilt als größte Fabrik der Welt. Dort produziert Foxconn für viele der führenden Computer- und Handymarken: das iPhone, das iPad und den iPod für Apple, die Playstation 2 für Sony, die Wii-Spielekonsole von Nintendo, Platinen für Intel, Handys für Sony Ericsson, Nokia und Motorola sowie Computer für Dell, Hewlett-Packard und Apple. Foxconn ist Partner des deutschen Metro-Konzerns beim Aufbau der Media-Markt Kette in China.
Gewinn: 2009 machte Foxconn 61,9 Milliarden Dollar Umsatz und 1,74 Milliarden Gewinn. Letzterer konnte im ersten Quartal 2010 um knapp 35 Prozent gesteigert werden. Seit Jahresbeginn gab Foxconns Aktienkurs, auch wegen der Selbstmordserie, stark nach.
Mittwochnacht stürzte sich hier ein 23-jähriger Arbeiter aus der Provinz Gansu aus dem siebten Stock seines Wohnheimes, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Die Polizei spricht von Selbsttötung. Es ist damit der zehnte Foxconn-Beschäftigte allein in Longhua, der in diesem Jahr den Freitod wählte. Alle Opfer waren zwischen 18 und 24 Jahre alt, und alle starben durch einen Sprung aus Fabrik- oder Wohngebäuden.
Erstmals hatte im Juli 2009 der Freitod eines 25-jährigen Foxconn-Managers in Longhua Schlagzeilen gemacht. Er soll zuvor wegen des Verlusts eines iPhone-Prototypen vom Wachschutz bedrängt und geschlagen worden sein. Erst durch diesen Fall wurde der Öffentlichkeit überhaupt bewusst, dass Apple das iPhone bei Foxconn produzieren lässt.
Der jüngste Freitod des 23-Jährigen erfolgte, nur Stunden nachdem Foxconn-Chef Terry Gou erstmals in der Firmengeschichte Journalisten zum Besuch des Fabrikgeländes eingeladen und persönlich herumgeführt hatte. Bis dahin galt Longhua als "verbotene Stadt", zu der Fremde und vor allem Journalisten keinen Zutritt hatten. Die einzige legale Gewerkschaft gilt ohnehin als Handlanger des Managements. Noch im Februar wurde ein Reuters-Fotograf, der von außen Aufnahmen gemacht hatte, von Werkschützern getreten und bedroht.
Sprechverbot
Die Freitode lenken das Augenmerk auf die Arbeitsbedingungen bei Foxconn. Sie gelten als hart, stressig und öde, es herrscht ein militärischer Ton. Eine 21-Jährige aus Guangxi berichtete der im benachbarten Hongkong erscheinenden South China Morning Post: "Die Atmosphäre an unserem Arbeitsplatz ist deshalb so angespannt, weil wir zwölf Stunden lang nicht miteinander sprechen dürfen."
Eine 22-Jährige aus Hunan klagte über die Schnelligkeit des Fließbands: "Obwohl Foxconn uns immer pünktlich den Lohn zahlt und kostenloses Essen und Unterkunft gewährt, fühle ich mich leer und wie eine Maschine". Ein Praktikant der angesehenen Wochenzeitung Nanfang Zhoumo ("Südliches Wochenende") aus Guangzhou arbeitete 28 Tage undercover bei Foxconn und war schockiert. In seinem Schlafraum mit zehn Betten hätten sich die Arbeiter nicht einmal mit Namen gekannt.
Foxconn zahlt genau den staatlichen Mindestlohn von 900 Yuan (105 Euro). Dieser zwingt die Arbeiter zu möglichst vielen Überstunden. Die Sechstagewoche à zwölf Stunden ist deshalb eher die Regel als die Ausnahme. Nach ersten negativen Berichten ließ Apple bereits 2006 die Bedingungen bei Foxconn untersuchen, war aber insgesamt zufrieden. Dennoch hatte damals schon ein Viertel der Arbeiter nicht den einen im Apple-Kodex vorgesehenen freien Tag pro Woche, und in 35 Prozent der Fälle betrug die wöchentliche Arbeitszeit mehr als 60 Stunden.
Vergangene Woche wiesen neun chinesische Sozial- und Arbeitswissenschaftler in einem offenen Brief auf das Schicksal junger Wanderarbeiter hin. Diese fänden auf dem Land keine Arbeit und sähen keine andere Alternative, als in den Städten schlecht bezahlte und perspektivlose Jobs anzunehmen. "In dem Moment, wo sie wenig Möglichkeiten sehen, sich durch harte Arbeit in den Städten ein Zuhause zu schaffen, bricht die Bedeutung ihrer Arbeit in sich zusammen." Der Weg nach vorn sei blockiert, der Rückweg versperrt. Andere verwiesen darauf, dass die heutige Generation der Wanderarbeiter anspruchsvoller und direkter mit dem für sie unerreichbaren Wohlstand konfrontiert sei.
Foxconn verweist darauf, dass sich in Longhua monatlich mehrere tausend Menschen bewerben. Selbst Arbeiteraktivisten aus Hongkong bescheinigen Foxconn, nicht schlechter als andere Firmen im Perlflussdelta mit seinen Mitarbeitern umzugehen und ihnen sogar eine kostenlose Krankenversicherung zu bieten. Firmenboss Gou weist alle Vorwürfe wegen schlechter Arbeitsbedingungen kategorisch zurück und will partout keinen Zusammenhang zu den Selbstmorden sehen. Er führe "keine Fabrik voll Blut, Schweiß und Tränen", sagte er zu Wochenbeginn vor der Presse in Taiwan.
Normalerweise spricht der öffentlichkeitsscheue Gou nicht mit Journalisten. Das Wall Street Journal ließ er fünf Jahre lang auf ein Interview warten. Später bescheinigte ihm das Blatt bei Foxconn "die Macht eines Warlords". Gous Problem ist, dass Foxconn stärker im Licht der Öffentlichkeit steht, seit seine Firma für Apple den iPod produziert. Das jugendliche Image des innovativen Apfelkonzerns und seines beliebten Musikplayers will so gar nicht zu Chinas Arbeitsbedingungen passen. Mit der Produktion des iPhones und iPads nimmt die Aufmerksamkeit weiter zu.
Gutes Fließbandkarma
Laut Gou versuche Foxconn alles, den bedauerlichen Selbstmorden vorzubeugen - mit zum Teil fragwürdigen Methoden. So richtete Foxconn eine interne Hotline ein, schrieb 2.000 Stellen für Psychologen, Berater und Therapeuten aus, lud Mönche zu Segnungen und der Verbreitung eines positiven Karmas ein, lässt Fließbänder jetzt mit Musik beschallen und setzt Belohnungen für Mitarbeiter aus, die selbstmordgefährdete Kollegen melden. Zwischen Gebäuden wurden Netze gespannt, die Selbstmörder auffangen sollen, sofern diese nicht schon von Extrawachen abgefangen wurden.
Foxconn will so weitere 30 Selbsttötungen vereitelt haben. Da diese aber weitergehen, drängte der Elektronikgigant seine Mitarbeiter, eine entsprechende Erklärung zu unterschreiben, die die Southern Metropolis Daily aus Guangzhou abdruckte. Darin heißt es: "Ich verspreche, mich oder andere niemals in einer extremen Form zu verletzen." Mit der Unterschrift erteilten die Beschäftigten ihren Vorgesetzten auch eine Vollmacht, sie "zum eigenen Schutz oder dem anderer" in eine psychiatrische Klinik einzuweisen, sollten sie in "einer anormalen geistigen oder körperlichen Verfassung sein". Das Blatt zitierte einen Arbeiter: "Wenn ich Streit mit meinem Vorgesetzten habe, werde ich dann in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen?"
Noch am Mittwoch entschuldigte sich Gou für die Erklärung und versprach, diese nicht mehr einzusetzen. Die Selbsttötungen seien ein soziales Problem, für das Foxconn nicht verantwortlich sei, sagte er. Selbsttötungen würden nun mal zunehmen, sobald eine Gesellschaft wohlhabender werde. "Ich habe mit Psychologen gesprochen, die meinten, dass die Selbstmordrate bei Foxconn unterhalb der des Landes liegt," sagte er laut South China Morning Post.
Apple hat ein PR-Problem
Bereits am Dienstag hatte in Hongkong die Aktivistengruppe Sacom ("Schüler und Lehrer gegen das Fehlverhalten von Konzernen") vor einem Foxconn-Büro protestiert, iPhones aus Pappe verbrannt und zum Boykott des neuen 4G aufgerufen. "Wir wollen das Bewusstsein der Konsumenten wecken, welchen Preis Arbeiter für die Produktion des iPhones zahlen", sagte Debby Chan Sze-wan von Sacom.
Jetzt sah sich auch Apple zu einer Stellungnahme veranlasst. Sie soll vor allem beruhigen. "Wir sind traurig und erschüttert von den jüngsten Selbsttötungen bei Foxconn", sagte Apple-Sprecher Steve Dowling laut AP. "Apple sorgt sehr dafür, dass die Bedingungen in unserer Lieferkette sicher sind und Beschäftigte mit Respekt und Würde behandelt werden." Apple werde Foxconns Maßnahmen prüfen und weiter die Fabriken inspizieren. Doch selbst wenn Apple wollte, würde der Konzern die große Nachfrage nicht kurzfristig über andere Fabriken abdecken können.
"Die Löhne der Arbeiter sollten auf ein anständiges Niveau angehoben werden, damit sie nicht mehr so viele Überstunden machen müssen", fordert Geoffrey Crothall von der Organisation China Labour Bulletin in Hongkong. Das würde ihnen Zeit für soziale Aktivitäten und Entspannung geben und ermöglichen, ihre wie auch immer gearteten Probleme zu bearbeiten."
Foxconn und Apple sehen die Selbstmordserie vor allem als PR-Problem. Von Maßnahmen in die vorgeschlagene Richtung ist von ihnen so wenig bekannt wie von einer unabhängigen Untersuchung der Fälle.
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