Pflegewissenschaftler über Betreuung: "Mehr als Löffel hinhalten"

Bei Pflegekräften droht ein dramatischer Personalmangel. Ihre Arbeitsbedingungen müssen deshalb deutlich verbessert werden, sagt Pflegewissenschaftler Michael Isfort.

Pflege ist mehr, als nur den Löffel hinzuhalten. Bild: ap

taz: Herr Isfort, 2025 werden in Deutschland 152.000 Alten- und Krankenpfleger fehlen, sagt das Statistische Bundesamt. Hat die Politik geschlafen?

Michael Isfort: Der Pflegegipfel ist überfällig. Jahrelang wurde nur über die Finanzierung gesprochen, nicht aber darüber, wer die Arbeit machen soll.

Woran liegt das?

Es gibt keine systematischen Konzepte, wie man die Pflegeausbildungen so finanzieren kann, dass sie zukunftssicher sind. Die Altenpflegeausbildung wird meist auf Landesebene finanziert, die Krankenpflegeausbildung dagegen über Kassenbeiträge. Die Ausbildung kann nicht Aufgabe einzelner Länder oder Träger bleiben. Das ist eine nationale Frage.

Altenpfleger klagen, dass sie nicht im Krankenhaus arbeiten können und umgekehrt.

Spitzentreffen: Angesichts des Mangels an Pflege-Fachkräften in Deutschland hat sich Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler am Dienstag mit Spitzenvertretern der Branche getroffen. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, wie der immer schneller wachsende Bedarf an professioneller Alten- und Krankenpflege in Deutschland gedeckt werden kann.

Die Zahlen: Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts fehlen in 15 Jahren voraussichtlich 112.000 Pfleger in Vollzeitanstellung.

Ergebnisse: Rösler stellte eine Reform der Ausbildung, eine Entlastung der Pflegekräfte sowie bessere Arbeitsbedingungen in Aussicht. Konkrete Vorschläge für eine Pflege-Finanzreform wollte Rösler noch nicht machen. (dpa)

Michael Isfort, 40, ist Professor für Pflegewissenschaft. Isfort ist Vorstand des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung (DIP) in Köln und Erfinder des "Pflegethermometers". Nach dem Zivildienst machte er eine Ausbildung zum Krankenpfleger.

Viel spricht dafür, die beiden Berufe zusammenzulegen - zugunsten von mehr Flexibilität.

Brauchen wir Geringqualifizierte, um dem Notstand zu begegnen?

Diese Lösungsangebote sind politische Reflexe und Ausdruck von Ahnungslosigkeit. Oft werden arbeitsmarktpolitische Interessen mit den Notwendigkeiten in der Praxis verwechselt. Wir brauchen vor allem qualifizierte Kräfte, die komplexen Situationen gewachsen sind.

Einen Menschen zu füttern, wofür viele Pflegende keine Zeit haben, ist nicht komplex.

Wer einem Patienten mit Schlaganfall und Schluckstörungen beim Essen helfen will, sollte Techniken und Risiken kennen. Das ist mehr, als einen Löffel hinzuhalten.

Schon heute sind viele Stellen nicht besetzt. Warum?

Eine alleinige Erhöhung des Lohns wird nicht ausreichen. Die Arbeitsbedingungen müssen sich ändern. In den Krankenhäusern wurden in zehn Jahren 50.000 Pflegekräfte eingespart. Es geht längst nicht mehr um fehlende Zeit zum Zuhören. Die Pflegenden können notwendige Dinge nicht mehr ausreichend oft ausführen, wie regelmäßiges Lagern und Mobilisieren von Patienten. Wenn die Schere weiter aufgeht zwischen dem, was professionell notwendig erscheint, und dem, was realisierbar ist, werden immer weniger Menschen diesen Beruf ausüben.

Pflegestandard und -leistung werden sinken?

Den hohen Standard werden wir ohne zusätzliche Finanzierung und ohne zusätzliches Personal nicht halten können. Die Generation, die heute alt ist, spart, um zu vererben. Künftige Generationen werden eigenes Geld für gute Pflege ausgeben müssen. Sorgen machen muss man sich um die, die das nicht können. Das Sozialproblem der Zukunft heißt nicht Arbeitslosigkeit, sondern Pflegebedürftigkeit.

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