Nobuko Watabiki über Fukushima aus der Ferne: "Die Leute sind hin- und hergerissen"

Die Künstlerin lebt seit zwei Jahren in Hamburg. Am 11. März hat sie das Erdbeben von Tokio aus miterlebt. Zurück in Hamburg, fühlt sie sich schuldig, weil sie fliehen konnte - und ihre Freunde und Verwandten nicht.

Bahnhof Tokio, 17. März: Einwohner verlassen die Stadt. Bild: dpa

taz: Frau Watabiki, Sie leben seit 2008 in Deutschland. Hat das Ihren Blick auf Japan verändert?

Nobuko Watabiki: Ja. Ursprünglich wollte ich ja nur ein Jahr bleiben. Aber im Laufe der Zeit spürte ich, dass ich mich verändert hatte. In Japan habe ich nie offen gesagt, was ich dachte. Niemand tut das. Die Deutschen sind direkter, und ich wurde es auch - teils aus ganz praktischen Gründen: Weil mein Englisch anfangs nicht sehr gut war, war ich gezwungen, kurz und knapp mit meinem wenigen Vokabular zu sagen, was ich wollte. Durch diese Art des Sprechens bin ich aber auch insgesamt offener geworden. Und mir ist klarer geworden, was ich will.

Wie kommuniziert man in Japan?

Man spricht indirekter, wählt Umwege, nutzt viele "Vielleichts". Den Rest klären Mimik und Gestik. Ich habe es dort natürlich genauso gemacht. Es war auch in Ordnung für mich; wir verstanden uns ja alle. Trotzdem gefällt mir die direkte Variante besser. Deshalb bin ich immer noch hier.

Für immer?

Ich habe immer gedacht, ich würde eines Tages zurückkommen, aber angesichts der Katastrophe bin ich nicht mehr sicher. Meine Freunde und meine Familie besuche ich aber natürlich noch regelmäßig.

52, Malerin, kam mit einem Stipendium für ein Jahr ins Hamburger Künstlerhaus Frise und verlängerte dann den Aufenthalt auf eigene Faust. In Hamburg hat sie begonnen, großflächige Stoff-Arbeiten anzufertigen.

Wann zuletzt?

Im März, weswegen ich am 11. März, dem Tag des Erdbebens, zufällig in Tokio war. Ich war mit Freunden zusammen und wir spürten eine starke Erschütterung. Das sind wir in Japan gewohnt, aber dieses dauerte besonders lange. Wir fühlten, dass es ein sehr großes Beben sein musste. Es gibt dort zwei Typen von Erdbeben: "senkrechte" und "waagerechte". Die senkrechten sind nah, die waagerechten fern. Das am 11. März war ein waagerechtes. Im Fernsehen haben wir gesehen, dass es die Region Fukushima getroffen hatte. An die AKWs haben wir da noch nicht gedacht. Erst als sie es in den Nachrichten brachten, haben wir Angst bekommen. Es war ja nur rund 250 Kilometer entfernt!

Haben Sie über Ihre Angst gesprochen?

Nein, und das ist typisch japanisch: Angesichts der Erdbeben-Geschädigten, denen es viel schlechter ging, gehörte es sich nicht, über die Angst vor Strahlung zu reden. Am folgenden Wochenende war es gespenstisch still in Tokio, weil niemand ausging, alle vor dem Fernseher saßen. Und die, die man traf, waren still. Sehr gestresst, aber niemand sprach es aus.

Auch privat nicht?

Ich habe versucht, meiner Freundin, bei der ich wohnte, von meinen Ängsten zu erzählen. Sie hat aber kaum darauf reagiert und nichts von sich erzählt. Es endete damit, dass wir schweigend vor dem Fernseher saßen.

Drei Tage nach der Katastrophe kehrten Sie nach Hamburg zurück.

Ja, und von da an wurde alles schwerer. Jeder fragte, wie geht es deiner Familie, deinen Freunden. Ich habe gesagt, sie sind okay, aber niemand weiß ja, was noch passieren wird. Ich halte engen E-Mail-Kontakt zu meiner Familie und meinen Freunden. Und es klingt vielleicht merkwürdig, aber ich fühle mich gerade deshalb schlecht, weil ich fliehen konnte. Und die anderen, die mir nahe stehen, mussten bleiben.

Was schreiben Ihre Freunde?

Meine Schwester schreibt, dass die Erde in Tokio immer noch täglich bebt, und das macht sie verrückt. Sie hat große Angst. Und dann schrieb sie mir, nur du bist in Sicherheit und frei. Das hat mich sehr traurig gemacht. Eine andere Freundin, die mit ihrer Familie in Tokio lebt, schrieb mir, guck dir die vielen fantastischen Kirchen in Deutschland an, tu es stellvertretend für mich. Das war schrecklich für mich, die einzige "Gerettete" zu sein. Ich habe ihr sofort geantwortet, dass sie so etwas nicht schreiben soll, denn natürlich hat sie eine Chance…

Sind all Ihre Freunde in Tokio geblieben?

Nein. Einige sind zu Verwandten gereist. Das bringt allerdings auch Probleme: Der Chef einer Freundin, die in den Süden ging, hat ihr gesagt, dass sie kein Recht dazu habe und dann eben kündigen müsse. Ich glaube, das ist kein Einzelfall.

Ist keiner Ihrer Freunde wütend - auf solche Chefs, die Regierung, AKW-Betreiber Tepco?

Einige sind wütend, weil Tepco permanent behauptet, alles sei sicher. Andererseits ist dieses Nicht-Aufbegehren auch eine Mentalitätsfrage. In Japans Geschichte hat es nie eine Revolution gegeben - und diejenigen, die derzeit Kraft haben, sind mit der Rettung der Obdachlosen beschäftigt. Trotzdem hoffe ich, dass Japan die Chance zu einer Energiewende nutzt.

Wie stehen Ihre Tokioter Freunde dazu?

Etliche sehen es wie ich, wünschen sich den Einstieg in alternative Energien und denken übers Energiesparen nach.

Wie repräsentativ ist das?

Nicht besonders. Die meisten meiner Freunde sind Künstler und Literaten - kreative, kritische Leute eben. Die Masse denkt vermutlich anders. Eine in Deutschland lebende japanische Freundin zum Beispiel bat vor einigen Tagen ihre Eltern, nach Deutschland zu kommen. Sie weigerten sich strikt und sagten: "Du bist von der Panikmache der deutschen Medien beeinflusst."

Wie berichten Japans Medien über Fukushima?

Sie berichten sehr ausführlich über die Erdbebenopfer und reden die AKW-Katastrophe klein.

Und die Leute glauben den Beschwichtigungen?

Eigentlich hat es Tradition, der Obrigkeit zu glauben. Derzeit habe ich aber den Eindruck, dass die Leute hin- und hergerissen sind zwischen dem Wunsch, den Verharmlosungen zu glauben, und ihrem wachsenden Zweifel.

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