Das Telefon im Kriminalfilm: Hallo! Lund am Apparat

Das ZDF zeigt ab Sonntag die dritte Staffel von „Kommissarin Lund“. Die Serie setzt wie so viele Krimis und Thriller voll auf das Erzählelement Telefon.

Ein neuer Anruf, eine neue Wendung: Kommissarin Lund am Hörer. Bild: ZDF

Als wir Sarah Lund zum ersten Mal wiedersehen, kommt sie gerade vom Klo. Sie hat ein Mobiltelefon zwischen Schulter und Kinn geklemmt und knöpft ihre Jeans zu, während sie mit ihrem Sohn telefoniert. Die beiden haben seit langem ein reichlich angespanntes Verhältnis.

In der ersten Staffel von „Kommissarin Lund – Das Verbrechen“, die 2007 im dänischen Fernsehen Premiere hatte, war Lunds Sohn gerade 12, frisch verliebt und überhaupt nicht begeistert von der Idee, die nächsten Jahre in der schwedischen Pampa verbringen zu müssen, bloß weil seine Mutter aus der Großstadt Kopenhagen weg und mit ihrem schwedischen Freund zusammenziehen wollte.

„Du interessierst dich nur für tote Menschen“, warf der Junge seiner Mutter damals vor. Zwei Staffeln „Kommissarin Lund“ haben genau das bestätigt. Die Beziehung zu dem Schweden ging genauso in die Brüche, wie Lunds andere Sozialkontakte scheiterten. Die Frau kann einfach nicht aufhören zu arbeiten. Und arbeiten meint hier: telefonieren. Auch in der am Sonntagabend startenden dritten Staffel.

Das Telefon ist das Scharnier zwischen sämtlichen Szenen dieser Fernsehserie, die sich stets zwischen drei Personengruppen abspielen: den Ermittlern, den politischen Entscheidungsträgern und dem Umfeld des Opfers. Im neuesten Fall agieren neben den Polizisten das Wahlkampfteam um den dänischen Premierminister, dessen Wiederwahl bevorsteht, und die Familie und Firma der größten Reederei des Landes, die mit Auswanderung droht. Die Finanzkrise bildet den Hintergrund für all das Böse, das die Zuschauer an den nächsten fünf Sonntagen in aller Ausführlichkeit präsentiert bekommen sollen.

Bei Anruf Konstellationswechsel

In jeder Szene wird telefoniert, immer nach demselben Muster: Ein Schauplatz, eine kleine Gruppe Menschen, die sich auf bestimmte Weise zueinander verhalten. Ein Anruf kommt, und mit ihm eine neue Information von außen in die Gruppe hinein, deren Konstellation und Verhalten sich daraufhin sofort verändern. Diese Veränderung wird als neue Information am Ende der Szene wieder nach außen weitergeleitet. Via Telefon.

Das Telefon ist dabei so unscheinbar, so alltäglich, dass man es ständig übersieht, obwohl es allgegenwärtig ist. Fast jeder besitzt heutzutage ein Handy und trägt es stets bei sich. Das Mobiltelefon ist ein Teil von uns geworden, ein überlebenswichtiger Teil sogar. Es ist unser Ohr und Sprachrohr, unser Auge und unser Gedächtnis, vor allem aber die Verbindung zum Rest der Welt.

In jedem Krimi – vom „Tatort“ bis zum Hollywood-Thriller – gibt es kaum etwas Gruseligeres als ein zurückgelassenes Handy. Das einsam klingelnde Telefon bedeutet immer das Schlimmste: Entweder ist der Halter schon tot, oder er schwebt zumindest in Lebensgefahr. Die Vorstellung, allein zu sein, nicht erreichbar und keinen Zugang zu Informationen von außen zu haben, scheint zur absoluten Horrorvorstellung unserer Gesellschaft geworden zu sein.

Vom Durchschneiden der Telefonschnur

Zu Beginn der dritten Staffel findet das Gefühl der unbekannten Bedrohung seinen Höhepunkt beim Anblick eines durchtrennten Telefonkabels. „Das Durchschneiden der Telefonschnur ist ein geradezu ikonographisches Bild der Bedrohung und des Isoliert-Seins“, schrieben Heinz-Jürgen Köhler und Hans J. Wulff 2000 in „Telefonbuch – Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Telefons“. Das verlorene Handy ist die Aktualisierung des durchtrennten Kabels.

Die Karriere des Telefons als Filmstar ist so alt wie der Tonfilm selbst. Neben dem erotischen Reiz des Flüsterns – Hollywood-Diven in seidenen Morgenmänteln auf Himmelbetten schmiegten in den 1930ern und 40ern verliebt den Telefonhörer ans Ohr – haben vor allem die Thrillerqualitäten des Apparats die Filmemacher von Anfang an fasziniert. Unvergesslich der Schrecken, den Alfred Hitchcock 1954 in „Bei Anruf Mord“ mit dem Telefon als Einbrecher in die Privatsphäre zu verknüpfen wusste.

Das Telefon hat so viel Macht, dass es immer Priorität genießt. Sobald es klingelt, gehen wir ran. Man könnte ja was verpassen.

Mehr Privatleben, weniger Arbeit

Sarah Lund ist nicht richtig bei der Sache am Anfang ihres neuesten Falls. Es ist ihr 25. Jahrestag bei der Mordkommission, jetzt will sie in die Rechercheabteilung wechseln. Mehr Privatleben, weniger Arbeit. Beim Anblick der verstreuten Leichenteile auf einem Schrottplatz macht sie nur desinteressiert „Hm, hm“, und fragt nach dem Preis einer alten Schubkarre für ihren Garten.

Sobald Lund sich einmal für einen Fall interessiert, ist sie regelrecht besessen davon. Dann arbeitet sie. Manisch, gegen alle Widerstände. Bis zur totalen Erschöpfung und darüber hinaus. Gerade privaten Konflikten entzieht sich Lund durch Arbeit, durch Telefonate.

Lund ist keine gute Mutter, genauso wie die Kommissare Beck und Wallander miserable Väter sind – eine Art Berufskrankheit unter skandinavischen Ermittlerfiguren. Lund selbst gibt dieses Defizit am Ende des ersten Arbeitstages gegenüber ihrem Sohn unumwunden zu. Natürlich am Telefon.

„Kommissarin Lund - Das Verbrechen III“, Sonntag, 22 Uhr, ZDF

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.