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Kulturkritische FlugschriftPopulär ohne Populismus

Wichtiges Diskursfutter: Mark Fishers kritischer Essay „Kapitalistischer Realismus“ ist nun endlich ins Deutsche übersetzt.

Kapitalistischer Realismus: Polizeieinsatz zum G8-Gipfel in London. Bild: reuters

Hierzulande scheinen die Diskursfronten zwischen der Talkshow-Gesellschaftskritik eines Richard David Precht und dem Exzellenzcluster-Wunderkind Markus Gabriel, das acht Fremdsprachen beherrscht, festgefahren.

In Großbritannien ist dank Pop ein vielschichtigerer Diskurs möglich. Populär, ohne ins Populistische abzugleiten. Intellektuell, ohne deshalb streberhaft akademisch zu klingen. Angesiedelt ist er in dem Feld zwischen Theorieproduktion und Kulturindustrie, Blogosphäre und Universität, von wo aus sich den Meinungsschablonen der Massenmedien und den bürokratischen Zwängen von Lehrplänen Paroli bieten lässt.

Ein schönes Beispiel dieses unabhängigen geistigen Schaffens sind etwa die Bücher des Verlags ZerO Books. Allen voran Mark Fishers Essay „Kapitalistischer Realismus“, das sich seit seinem Erscheinen 2011 mehr als 50.000-mal im angloamerikanischen Raum verkauft hat und nun endlich ins Deutsche übersetzt ist.

Fisher arbeitet als Dozent für Musikkultur, Medien und Kommunikation an der University of East London und schreibt für den Guardian, das Musikmagazin The Wire und die Kunstzeitschrift Frieze.

Reflexive Ohnmacht

Den Anstoß für sein Essay gab eine Generation von 20- bis 30-jährigen Briten – seine Schüler –, die den Kapitalismus als alternativlos wahrnimmt. Die keinen Sinn für Zukunftsentwürfe hegt und nichts anderes kennt als Pastiche und Revival. Fisher bescheinigt ihnen daher ein Gefühl von „reflexiver Ohnmacht“. „Sie wissen, dass ihre Situation nicht besonders rosig ist …, aber sie können nichts dagegen tun.“

Dem zugrunde liegt ein trostloser Alltag, in dem PR anstelle von politischen Botschaften gerückt ist, ständiges Ranking die Vermittlung von Bildung erschwert und Zeit durch die Handlungsmacht und Technologie des Internets stark fragmentiert wird.

Politische Vorstellungskraft

Die Herkulesaufgabe sei es, in diesem Klima „politische Vorstellungskraft“ zu formen. Hoffnung macht Fisher dagegen die politische Mobilisierung der Kunstszene, die Studentenproteste in Großbritannien, selbst die Occupy-Bewegung. Seine „Flugschrift“ ist unterhaltsam zu lesen, zwingt zum Nachdenken, gerade auch, weil sie mit Beispielen aus der Popkultur hantiert. Was haben die Riots in Großbritannien 2012 mit Dubstep-Musik zu tun? Warum ist Gangsta-Rap ein Beispiel für ökonomische Instabilität und institutionellen Rassismus?

Den Begriff „kapitalistischer Realismus“ diagnostiziert Fisher als ideologische Grundstimmung im 21. Jahrhundert. Realität sei „unbegrenzt formbar“ und könne sich „in jedem Moment rekonfigurieren“. Für den Einzelnen bedeutet dies permanenten Stress, Überforderung, bis hin zu Depressionen. Zustände, sagt Fisher, die dringend repolitisiert werden müssen.

Sich selbst ordnet Fisher als unorthodoxer britischer Linker ein, der seine Kulturkritik gegen alte politische Schismen richtet. Allen voran gegen den „sklerotischen Würgegriff einer moralkranken alten Linken“. Fishers Gewährsleute heißen Deleuze, Guattari und Jameson.

Unstillbarer Hunger

Den Begriff „kapitalistischer Realismus“ leitet Fisher von ebenjenem Frederic Jameson ab. „Kapitalistischer Realismus setzt ein, wenn die Postmoderne als Naturzustand gilt.“ Der Hunger des Kapitalismus ist unstillbar, er konsumiert und subsumiert alle vorhergehende Geschichte, egal ob es sich um „religiöse Ikonen, Pornografie oder eine Ausgabe von ’Das Kapital‘ handelt.“

Die Linke, sagt Fisher, brauche ein neues großes Anderes, sie muss einen eigenen Gemeinwillen entwickeln. „Anstatt den Kapitalismus als ein System zu begreifen, das nur zu gut funktioniert, könnten wir es als das verstehen, was es ist: ein System, das routinemäßig daran scheitert, seine eigenen Versprechen einzulösen.“

■ Mark Fisher: „Kapitalistischer Realismus ohne Alternative? Eine Flugschrift“. Aus dem Englischen von Christian Werthschulte u. a. VSA-Verlag, Hamburg 2013, 117 Seiten, 12,80 Euro

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3 Kommentare

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  • M
    Michel_Berlin

    "In Großbritannien ist dank Pop ein vielschichtigerer Diskurs möglich. Populär, ohne ins Populistische abzugleiten"

     

    Bei uns ist Dank unserer "Intellektuellen" etwas das populär ist gleich schlecht.

     

    Da diese und ihre Theorien fast immer (bei der "doofen" ungewaschenen Masse) selber sehr unpopulär sind hat sich diese Gleichung entwickelt:

     

    Intellektuell - unpopulär - links = gut

     

    Populär - populistisch - rechts = schlecht

     

    Das hat weniger was mit Englisch oder Großbritannien zu tun, als viel mehr mit unseren Intellektuellen. Und deshalb wird sich daran leider auch so schnell nichts ändern!

     

    Dabei haben diese unsere linken Intellektuellen so ziemlich alles versaut und in den Sand gesetzt was möglich war!

    An diesem, heutigen, alternativlosen Kapitalismus-Dilemma sind sie schuld!

     

    Wir sollten sie auch alle in die Tonne treten und nochmal ganz von vorne anfangen...ohne linke Intellektuelle und ohne rechte Populisten und das ganze alte Schachteldenken!

    Das hat sich doch sowas von überlebt!

    Vielleicht finden wir in einer ganz neuen Bewegung, jenseits von links und rechts eine neue Antwort auf die alten Fragen...

  • AU
    Andreas Urstadt

    Das Wort Realismus widerspricht sich selbst. Das Reale kann nicht partikularisiert werden, was ein ismus jedoch tut. Ismen partikularisieren immer. Fisher bringt nichts Neues und keinen Schritt weiter. Das ist Stand 1994 cultural studies und vorher. Fuer manche ist die Zeit stehen geblieben. Von Kapitalismus (...) redet ernsthaft keiner mehr bei smart growth, immaterial wealth etc usw.

     

    Bei den wichtigen zeitgemaessen Projekten haben bei den Einstellungen die Philosophen die Kulturwissenschaftler ueberholt. In letzterem Fach muss man was falsch gemacht haben.

     

    In economics redet niemand von Kapitalismus aber von business ethics, sustainable supply chain management usw und das unter Beachtung von Regulativen usw um das Fortlaufen von supply chains zu erreichen.

     

    Es geht um die improvement of living and working conditions jetzt ohne Ideologie. Ideologie partikularisiert und ist daher nicht nachhaltig.

     

    Wenn Merkel Mass und Mitte ins Zentrum packt bringt sie das Paradox einer partikularisierten und partikularisierenden Mitte hervor. Heisst also nicht, dass heute Analyse nicht mehr moeglich waere. Die Zeiten haben sich gewandelt.

     

    Die taz haelt an Altem und an gesellschaftlicher Undurchlaessigkeit (so die OECD, das gilt in Deutschland fuer inkl alle Medien).

  • G
    globelisx

    Eine Flugschrift für 12,80 EUR ?

    Das nen ich mal wirklich kapitalistischen Realismus : )

    Aber immerhin ein Beitrag.

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