NSU-Prozess in München: Festung Frühlingsstraße

Die Rekonstruktion der ausgebrannten Wohnung des Trios in Zwickau zeigt eine spießige Idylle, die gut gesichert war. Trotz des Feuers blieben viele Spuren.

Der Unterschlupf des NSU-Trios einige Tage nach dem Brand im November 2011. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Mehr als 800 Bilder haben die Ermittler angefertigt. Sie zeigen das Ausmaß der Zerstörung, das der Brand in der Zwickauer Frühlingsstraße anrichtete. Beate Zschäpe soll in der Wohnung, die sie mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bewohnte, am 4. November 2011 Feuer gelegt haben – kurz zuvor erfuhr sie offenbar, dass sich ihre beiden Gefährten nach einem Banküberfall in Eisenach in ihrem von der Polizei umstellten Wohnmobil erschossen hatten.

Zschäpe wollte offenbar Beweise in der gemeinsamen Wohnung vernichten. Danach war sie vier Tage auf der Flucht, reiste mit der Bahn durch Deutschland, bevor sie sich in Jena der Polizei stellte. Die Druckwellen, die durch den Brand in der Frühlingsstraße entstanden, sprengten die Außenmauer an der Frontseite der Wohnung weg.

Mit dem Feuer brachte Zschäpe potenziell drei Menschen in Gefahr. Als sie aus dem Haus flüchtete, gab sie noch ihre Katzen bei einer Nachbarin ab. Eine bettlägerige alte Dame, die im Haus nebenan lebte, ließ sie jedoch zurück. Auch zwei Handwerker waren bis kurz vor der Explosion in der leerstehenden Wohnung im zweiten Stock mit Renovierungsarbeiten zugange. Nur weil sie an diesem Tag früher Schluss machten, um sich in einer nahen Bäckerei mit dem Elektriker zu besprechen, kamen sie unbeschadet davon. Was die Fotos auch liefern, ist ein detaillierter Einblick, in die biedere Festung, die sich die drei mutmaßlichen Rechtsterroristen schufen.

Raum für Raum, Bild für Bild, führte der Brandermittler, der im NSU-Prozess bereits mehrere Tage geladen war, durch die geräumige Wohnung im ersten Stock. Vier „Schlafplätze“ gab es laut dem Ermittler in der Frühlingsstraße. Ein Hochbett stand in einer Ecke des Wohnzimmers, eines im „Katzenzimmer“. Zwei weitere Betten befanden sich in einem anderen Raum, dem „Schlafzimmer“. Wer von den drei Bewohnern wo geschlafen hat, ist nicht mehr auszumachen. Warum es vier Betten waren, ebenfalls nicht.

Kameras in künstlichen Efeuranken

Schlecht ging es den dreien im Untergrund offenbar nicht. Sie hatten zwei Wohnungen auf demselben Stockwerk zu einer zusammengelegt, verfügten über zwei Bäder und bewohnten vier Zimmer. Dreieinhalb Jahre vor dem Brand waren sie innerhalb Zwickaus von der Polenzstraße im eher einfachen Stadtteil Marienthal in die Frühlingsstraße in Weißenborn gezogen. „Das gilt für Zwickauer Verhältnisse als gefragte Lage“, sagt der Hausverwalter im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München.

Eine blaue Einbauküche, ein geräumiger doppeltüriger Kühlschrank, Blumenkästen am Fenstersims, der Boden in den restlichen Räumen mit hellem Linoleum ausgelegt, im Wohnzimmer ein rotes Sofa, davor ein kleiner Wohnzimmertisch mit der fast unversehrten Fernsehzeitung in der Ablage, Hantelbank und Laufband, im „Sportzimmer“ nebenan. Im Schutt ein Tier-Impfpass, ausgestellt auf „Mandy S., Polenzstraße. Katze namens Lily, männlich, kastriert, schwarz mit weiß“, wie der Ermittler vorliest. Mandy S. war einer der Tarnnamen Zschäpes im Untergrund. Eine ordentlich aufgeräumte Wohnung mit Hang zur gutbürgerlichen Spießigkeit, wie sie wohl viele Menschen bewohnen könnten.

Doch in der Asche und dem Bauschutt, der durch die Explosion entstanden war, entdeckte der Ermittler auch einiges, das weniger gewöhnlich war und was darauf hindeutet, dass hier jemand wohnte, der etwas zu verbergen hatte. So hatten die Bewohner vier Kameras angebracht: Eine im Türspion, drei in künstlichen Efeuranken auf den Fensterbrettern. Ein Kontaktmelder an den Kellertüren übertrug zudem per Funk in den ersten Stock, wenn der Raum geöffnet wurde. Ein Handwerker, der die Türe hatte aufbohren wollen, weil der Raum bei Aufräumarbeiten im Keller nicht zugeordnet werden konnte, kam nicht dazu, wie der Hausverwalter vor Gericht berichtete. Zschäpe sei sofort heruntergekommen und habe den Mann davon abgehalten, sagte er aus.

Auch Waffen und Geld fanden die Ermittler in den Trümmern. Insgesamt neun Pistolen, ein Gewehr und eine Maschinenpistole wurden sichergestellt. Laut Bundesanwaltschaft war darunter auch die Česká mit der der NSU neun Migranten erschossen haben soll. Im Bettkasten im Schlafzimmer fanden die Ermittler eine Bombenattrappe. Beate Zschäpe, der Hauptangeklagten im Prozess, wird vorgeworfen, sich als Gründungsmitglied des NSU an der Ermordung von acht Kleinunternehmern türkischer und einem Kleinunternehmer griechischer Herkunft, dem Mordanschlag auf zwei Polizeibeamte in Heilbronn sowie an den versuchten Morden durch die Sprengstoffanschläge in der Kölner Altstadt und in Köln-Mülheim beteiligt zu haben.

Dreirad un Kinderfahrrad im Keller

In einem Tresor – der zum Zeitpunkt des Brandes offen stand, fand der Brandermittler neben einer geladenen Waffe auch ein Paar Handschellen – Seriennummer 5032, „Made in Germany“. Damit sei klar, dass diese einmal der Polizei gehörten, sagt der Ermittler. Sein Team stellt zudem Bündel von Geldscheinen fest. Auf den Bildern, die im Gerichtssaal zu beiden Seiten an die Wand projiziert werden, sind mehrere verkohlte 100-Euro-Scheine zu sehen. Auch stapelweise Zeitungsausschnitte und Kartenmaterial haben die Beamten sichergestellt, auf den Karten waren teilweise verschiedene Orte markiert, wie der Ermittler am Donnerstag berichtet.

Im mit Stahltüren gut gesicherten Keller schließlich, bewahrten die drei Regale voller Mineralwasserflaschen und Milchtüten auf, so als wollten sie sich für den Ernstfall rüsten. Darüber hinaus fanden die Ermittler ein verstärktes Holzbrett mit Einschusslöchern und eine Patronenhülse, dazu die Fahrräder der drei. Auch ein buntes Kinderfahrrad befand sich im Keller, sowie ein Kinderdreirad aus Plastik. Dies könnte ein Anhaltspunkt dafür sein, dass André Eminger, der im NSU-Prozess als Helfer angeklagt ist, und dessen Frau Susanne, die als Vertraute Zschäpes gilt, in der Wohnung ein und ausgingen. Die beiden haben zwei Söhne. André Eminger steht unter anderem in Verdacht, bei der Produktion der Paulchen-Panther-Bekennervideos mitgeholfen zu haben. Hinweise, die zum Haftbefehl und zur seiner Festnahme führten, fanden sich ebenfalls in den Trümmern. Unter anderem wurde dort ein Flyer der Video-Firma „Aemedig“ entdeckt, die André Eminger in Zwickau betrieben hat.

Auffällig sind auch die vielen Computer in der Wohnung. Im Wohnzimmer gab es eine Computerecke, ebenso im „Sport“- und im „Schlafzimmer“. Außerdem wurde ein Laptop sichergestellt, auf dem sich Entwürfe des „Paulchen-Panther“-Videos befanden, in dem sich der Nationalsozialistische Untergrund zu seinen Taten bekannte. Auch vom Tod ihrer Kameraden könnte Zschäpe per Computer erfahren haben. Der Rechner unter dem Hochbett lief am 4. November noch bis etwa 14:30 Uhr, wie der Brandermittler angab. Um kurz nach 15 Uhr brannte die Wohnung lichterloh.

In Kooperation mit Radio Lora München.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.