Umweltsünder Landwirtschaft: Düngen, bis das Meer tot ist
Landwirte kippen im Schnitt zu viel Stickstoff aufs Feld, urteilen Berater der Bundesregierung. Folgen: verseuchtes Trinkwasser, Artensterben, Treibhausgase.
BERLIN taz | Deutschlands Bauern düngen im Schnitt mehr, als die Umwelt verkraftet. Berater des Bundesagrarministeriums und der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung urteilen in einem Gutachten zur Düngeverordnung: „Zentrale Umweltziele im Agrarbereich werden in Deutschland nach wie vor nicht erreicht.“ Die Wissenschaftler raten deshalb „dringend“, die Gesetze zu verschärfen. Der Bund überarbeitet gerade die Düngeverordnung.
Im Durchschnitt der Jahre 2009 bis 2011 betrug der Studie zufolge der Überschuss des wichtigsten Düngemittels Stickstoff pro Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche 97 Kilogramm. Diese Menge ist also nicht in Form von pflanzlichen oder tierischen Produkten wie Getreide oder Fleisch aus der Landwirtschaft abgeflossen, sondern zum Beispiel in Gewässer und Atmosphäre entwichen.
Die Bundesregierung hatte in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie aber das Ziel ausgegeben, den Stickstoffüberschuss bis 2010 auf maximal 80 Kilo und bis 2020 noch weiter zu senken. Diese Marke hat die Landwirtschaft verfehlt. Dennoch steige in vielen Regionen mit intensiver Tierhaltung und Bioenergieproduktion der Stickstoffüberschuss sogar noch, schreiben die Gutachter.
„Darunter leidet nicht nur die Qualität der Oberflächen- und Grundgewässer, auch die biologische Vielfalt wird deutlich beeinträchtigt“, heißt es in der Studie. Denn aus Stickstoffdünger entsteht Nitrat, das in hohen Dosen gesundheitsschädlich ist. Zudem trägt die Chemikalie etwa im Meer zu starkem Wachstum von Algen bei, was andere Arten tötet. Düngen schädigt auch das Klima, weil Lachgas frei wird – ein 300-mal aggressiveres Treibhausgas als Kohlendioxid.
Härtere Strafen gefordert
Die Studie empfiehlt, Sperrfristen zu verlängern, in denen Bauern keine Gülle ausbringen dürfen. Der Staat müsse auch besser kontrollieren, ob die Vorschriften eingehalten werden. „Schärfere Sanktionen sind unerlässlich.“
Der Deutsche Bauernverband erklärte, dass „in den letzten 20 Jahren beachtliche Fortschritte bei der Düngung erreicht“ worden seien. Tatsächlich ist der durchschnittliche Stickstoffüberschuss laut Gutachten in diesem Zeitraum gesunken.
Das Bundesagrarministerium unter Ilse Aigner (CSU) wies den Vorwurf zurück, ihre Politik in Sachen Dünger sei gescheitert. „Wir sind mit der Novellierung der Düngeverordnung auf dem richtigen Weg“, sagte eine Sprecherin der Behörde. Dabei diene das Gutachten der Wissenschaftler als „Input“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen