Kommentar Spanischer Fußball: Das Ende einer Ära?

Weltmeister Spanien blamiert sich gegen die Niederlande bis auf die Knochen. Aber die 5:1-Klatsche könnte auch einen positiven Effekt haben.

Der Mann mit den Haaren wurde lange „San Iker“ genannt – damit dürfte jetzt Schluss sein. Bild: dpa

Der amtierende Fußball-Weltmeister Spanien hat sein Auftaktspiel gegen die Niederlande 1:5 verloren. Jetzt unken viele: War ja klar. Nach drei Titeln in Folge (EM, WM, EM) seien die Spieler satt, der Barca-Stil längst abgelöst – und überhaupt. Das weltweite Hyperventilieren speist sich aus verschiedenen Quellen: Dem Bedarf an großen, aber ungefährlichen Gefühlen, der emotionalen Kraft eines Weltturniers, dem Überdruss an einem Dauersieger, kleinbürgerlichen Ressentiments gegen den avantgardistischen Spielstil Spaniens. Und selbstverständlich will man Helden fallen sehen.

Insofern ist es naheliegend sich als Symbol den größten Torhüter des 21. Jahrhunderts auszuwählen. Wie Iker Casillas vor dem 1:4 der Ball vom Fuß sprang, wie er vor dem 1:5 hilflos über den Boden robbte, sein trauriges Gesicht beim Abgang, das sind Bilder, die man in den nächsten 72 Stunden in Dauerschleife sehen wird. Und war nicht Casillas in Wahrheit längst über seinen Zenit hinaus? Und Spielgestalter Xavi sowieso, der zweite prägende Fußballer der letzten Dekade? Also, voraussichtlich das Ende einer Ära.

Selbstverständlich wird man sich nun in Spanien überschlagen. Ist Trainer Vicente del Bosque zu treu und zu unflexibel? Haben Casillas und Xavi ihr letztes Länderspiel gemacht? Muss nun nicht der spanische Fußball neu erfunden werden? Bei Weltturnieren verdichten sich längere und komplexe Prozesse häufig zu Entscheidungen, die es ansonsten nicht geben würde. So wurde etwa der große Helmut Haller im ersten Spiel der WM 1970 zur Halbzeit ausgewechselt – und spielte nie mehr für Deutschland.

Gerade Casillas hatte aber auch grandiose Paraden, die entscheidenden Fehler wurden von anderen gemacht, etwa von Pique (1:1) und dem Schiedsrichter (1:3). Doch die logische Erklärung eines Spiels geht immer von der Kenntnis des Ergebnisses aus. Aber nicht nur deshalb wird man von einer taktischen Meisterleistung Louis van Gaals reden. Es spricht ja wirklich nicht für del Bosque, dass ein gerade noch als mittelmäßig betrachtetes Team wie die Niederlande mit einer strategischen Maßnahme, nämlich acht Defensivspielern (5-3-2) und der nötigen Mentalität, das Tiki-Taka weitgehend ausgeschaltet hat.

Fußball in Perfektion

Auf jeden Fall ist es atemberaubend, was Arjen Robben spielte. Sein Treffer zum 5:1 war individualistischer Fußball in Perfektion, eine Mischung aus Speed, Technik und klinischer Präzision, die mutmaßlich kein anderer Spieler weltweit hat. Es könnte ein Indiz dafür sein, dass Stars wie Roben und Neymar bei diesem Turnier eine größere Rolle spielen, als das während der spanischen Regentschaft der Fall war. Spaniens Niederlage war ganz bestimmt kein Zufall.

Und dennoch sollte man Ernst nehmen, was Hollands Kapitän Robin van Persie unmittelbar nach Spielschluss sagte, nämlich dass die Ereignisse für ihn schön, aber ganz und gar unerklärlich seien. Spanien tritt am Mittwoch gegen Chile an. Es wird schwer werden für die Spieler, das 1:5 abzuhaken und sich selbst freizumachen, von der hegemonialen Deutung, ein erledigter Fall zu sein. Aber noch sind sie es nicht.

Es erscheint in diesem Moment unvorstellbar, aber der neue Antrieb der Dauersieger könnte erst jetzt entstanden sein. Spanien hat die historische Chance, das größte Comeback der Fußballgeschichte hinzulegen – seit 1954 und dem 3:8 der Deutschen im Vorrundenspiel gegen Ungarn.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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