Sozialer Brennpunkt: In der Höhle der Heuschrecke

Die Situation in der Grohner Düne ist furchtbar, die Politik noch planlos. Dem neuen Eigentümer der Anlage wird nachgesagt, es gehe ihm nur um die Rendite.

Die Grohner Düne macht nicht den Eindruck, als seien große Verbesserungen im Gange. Bild: Catiana Krapp

Auf den ersten Blick wirkt die Siedlung gar nicht so finster. Eine Ansammlung beiger und weißer Hochhäuser, dazwischen sind überall Menschen unterwegs, die sich lebhaft unterhalten. Doch bei näherem Hinsehen verändert sich der Eindruck schnell. Eine Familie schiebt einen Wagen voller Einkäufe in Richtung eines Eingangs und passiert dabei gut zwei Dutzend leere Einkaufswagen, die mitten zwischen den Häusern stehen.

Eine Handvoll Mädchen stehen in einem Grüppchen zusammen und reden durcheinander. „Die holen die Einkaufswagen immer hier ab“, sagen sie. Mit „die“ meinen sie die Supermärkte, denen die Wagen gehören. Die Mädchen gehen zu einem großen Spielplatz mit Sandkasten und einem Erdhügel, auf dem ein Gerüst aus Ästen steht. „Da oben spritzen sich die Jugendlichen Drogen“, sagt eine. Manchmal würden die Jugendlichen ihre Spritzen im Sand liegen lassen – „dann spielen kleine Kinder damit“.

Auch wenn die Jugendlichen nicht da sind, fühlen sich die Mädchen auf dem Spielplatz nicht sicher. „Wir werden manchmal von anderen Kindern bedroht, weil wir keine Moslems sind“, erzählt ein Mädchen. Sie sei Jesidin, ihre FreundInnen Christen. Ein anderes Kind sagt: „Mich haben sie schon mal geschlagen.“ Die Kinder leben in der Grohner Düne, in Bremen-Vegesack. Die 570 Wohnungen dort gehören mittlerweile vollständig dem Immobilienkonzern Grand City Property. Er hatte zum 1. März die erste Gebäudeeinheit von der Deutsche Wohnen AG übernommen, am 1. Juli dann den zweiten, kleineren Teil von einem niederländischen Eigentümer. Die Opposition in der Bremischen Bürgerschaft hatte heftig kritisiert, dass die Stadt die Grohner Düne nicht gekauft hatte. Claudia Bernhard von der Linksfraktion sagt: „Grand City ist eine Heuschrecke.“ In Bremen ist der Konzern bereits bekannt, weil er auch Wohnungen in der Neuwieder Straße 1 des Stadtteils Tenever besitzt. Dort waren Sanierungen nur langsam vorangegangen.

Die Grohner Düne macht bis jetzt nicht den Eindruck, als seien große Verbesserungen im Gange. Viele Häuserwände sind mit grünen Schlieren überzogen, einzelne Wandplatten fehlen. In mehrere Wohnungen scheint Feuchtigkeit eingedrungen zu sein: Wände und Fenster sind verschimmelt. An manchen Aufzügen ist die Anzeige kaputt und die Knöpfe lassen sich schwer drücken. Innen sind Scheiben verkratzt und Schilder angekokelt. Eines der Mädchen, die sich auf dem Spielplatz bedroht fühlen, zeigt auf ein Haus und ruft: „Da bin ich mal im Aufzug stecken geblieben!“ Ihrer Mutter sei in einem anderen Aufzug das Gleiche passiert. Die Feuerwehr habe kommen müssen, um sie zu befreien.

Grand City Property sieht die Schuld nicht bei sich. Pressesprecherin Katrin Petersen schrieb am Donnerstag: „Die Voreigentümer haben über Jahre Pflege, Wartung und Modernisierung der Aufzüge vernachlässigt.“ Und: „Wir beginnen in dieser Woche umfangreiche Arbeiten an den Aufzügen, um den jahrzehntelang aufgebauten Investitionsstau nach und nach abzuarbeiten.“ Auch habe der Konzern seit der Übernahme unter Beweis gestellt, dass er tatsächlich investiere. Auf die Frage nach konkreten Beispielen schrieb die Sprecherin, man habe das Hausmeisterbüro renoviert und wieder eröffnet. Von den Mietern werde das sehr gut angenommen. In der Mail heißt es auch: „Grundsätzlich ist anzumerken, dass wir stets bemüht sind, von Mietern angezeigte Mängel schnell zu prüfen und im gebotenen Rahmen zu beheben.“

Die Mutter des jesidischen Mädchens erzählt anderes. Vom Hausmeister sei keine Rückmeldung gekommen, als sie sich wegen des Schimmels beschwerte. Im Badezimmer der Familie gibt es viele schwarze Flecken, die Mutter bekommt es trotz ständigen Schrubbens nicht sauber. „Wir müssen hier ständig lüften, sonst stinkt es zu sehr nach Schimmel“, sagt einer ihrer vier Söhne. Sein jüngster Bruder und seine Schwester würden viel husten.

Auf die alarmierende Situation will jetzt auch die Stadt reagieren. Die jeweils höchsten Beamten mehrerer Bremer Ressorts wollen sich regelmäßig treffen, um Lösungen zu entwickeln: Die Runde besteht aus den Staatsräten der Senatskanzlei und der Ressorts Bildung, Soziales, Inneres und Bau, wobei Letztes federführend ist. Dass sie jetzt, wo die Wohnungen verkauft wurden, tatsächlich etwas bewegen kann, wird aber angezweifelt. „Die Arbeitsgruppe mutet eher wie eine Beruhigungspille für die zu Recht verunsicherten und aufgebrachten Menschen vor Ort an“, findet die Nordbremer CDU-Abgeordnete Silvia Neumeyer. Die Staatsräte müssten durch konkrete Lösungen zeitnah beweisen, dass es ihnen nicht nur um die soziale Show gehe.

Wie diese konkreten Lösungen aussehen sollen, das ist allerdings kaum herauszufinden. Es sei „ganz schwer“, diese Frage zu beantworten, sagte Jens Tittmann, Sprecher des Bausenators, der taz. „Wir stehen noch ganz am Anfang und müssen erst mal feststellen, was wir tun müssen.“

In einer Pressemitteilung zur Staatsräterunde heißt es, die Stadt wolle mit Grand City Property zusammenarbeiten, aber auch Möglichkeiten schaffen, veräußerte Immobilien zurückzukaufen.

Dabei hat Bremen laut Bernhard bereits ein Vorkaufsrecht. Ihrer Einschätzung nach „kann es gut sein, dass der Konzern die Grohner Düne in zwei Jahren wieder abstößt“ – dann müsse der Senat „auf der Matte stehen und Geld in die Hand nehmen“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.