„Friedensdemo“ in Berlin: Der Frieden der Wirrköpfe

Die Reste der Friedensbewegung schließen sich mit den „Montagsdemonstranten“ zusammen. Das Ergebnis: Nato, USA und Israel sind an allem schuld.

„Nur der Anfang“: Demo gegen den Krieg am Wochenende. Bild: dpa

BERLIN taz | Die „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“ hatte sich strategisch günstig an der Bushaltestelle platziert, an der alle Demonstranten vorbeimussten. „Putin und China sind Obama und Merkel moralisch überlegen“ stand auf ihrem Plakat. Auf eine kürzere Formel lässt sich das Programm der Demonstration, die am Samstag in Berlin zum Amtssitz von Bundespräsident Joachim Gauck zog, kaum bringen. Als die Auftaktkundgebung begann, waren an dem Stand alle Flugblätter vergriffen.

Die Anklage, die die Kriegsgegner vorzubringen hatten, hatte durchweg dieselbe Stoßrichtung: der Westen als Aggressor, Russland als Opfer. Demonstranten trugen „Germany loves Russia“-Plakate mit roten Herzchen, auf dem Boden wurden riesige Fotografien von toten Mädchen in Blutlachen, abgerissenen Füßen und Leichenteilen ausgebreitet. Über den Bildern, die in der Ostukraine aufgenommen worden sein sollen, stand, es handele sich um „Opfer des von US/Nato initiierten und finanzierten Kriegs“.

Die Demonstration sollte der erste Höhepunkt der „Friedenswinter“-Kampagne sein, mit der die Antikriegsbewegung gegen die westliche Ukrainepolitik, aber auch gegen Drohneneinsätze und die Nato protestiert. Etablierte Organisationen wie die Deutsche Friedensgesellschaft, Pax Christi oder die Ärzte gegen den Atomkrieg hatten sich dafür mit den sogenannten Montagsdemonstranten zusammengeschlossen. Diese waren seit dem Frühjahr mit wöchentlichen Mahnwachen gegen die Eskalation in der Ukraine aufgetreten und hatten dabei leidlich Zulauf verzeichnet – darunter auch Verschwörungstheoretiker, Antisemiten und Neurechte verschiedener Couleur.

Das Ergebnis: 3.300 Menschen zogen am Samstag zum Schloss Bellevue, dem Amtssitz von Präsident Gauck. Organisator Reiner Braun, altgedienter Aktivist der „JuristInnen gegen den Atomkrieg“, sagte, das sei ein „Erfolg, aber nur der Anfang“. Die Kriegsgegner hatten sich auf Gauck eingeschossen, weil dieser sich seit Beginn seiner Amtszeit für deutsche Militäreinsätze starkmacht. „Stahlhelm ab, Herr Gauck“ stand auf dem Fronttransparent, Gauck als Militärpastor gezeichnet.

Marionetten von USA und Israel

In der ersten Reihe marschierten der nach Antisemitismus-Vorwürfen vom Sender RBB entlassene Exmoderator Ken Jebsen gemeinsam mit dem Linke-Abgeordneten Diether Dehm und dem als Erfinder der Montagsdemos geltenden Lars Mährholz, dessen Ziel die Abschaffung aller Zinszahlungen ist.

Aufgerufen hatten neben Dehm auch die Linke-Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, Katrin Vogler, Sabine Leidig und Sahra Wagenknecht. Sie hatten es allerdings vorgezogen, nicht zu erscheinen. Kurz vor der Demonstration erklärten die Organisatoren, sie würden „antisemitische, neurechte, reichsbürgerliche, rassistische, nationalistische und faschistische Positionen und die sie vertretenden Menschen des Platzes verwiesen“.

Doch davon konnte keine Rede sein. Es wurden Plakate mit Karikaturen verteilt und ausgelegt, auf denen eine Hand zu sehen war, der Ärmel mit USA-Fahne und Davidstern, an jedem Finger eine kleine Puppe: al-Qaida, die Taliban, IS, die syrische Al-Nusra-Front und die saudischen Wahhabiten. Die Dschihadisten dieser Welt als Marionetten, aufgebaut von den USA und Israel, um die islamische Welt bombardieren und unterwerfen zu können, so lautete der Subtext. Daneben war eine imitierte Media-Markt-Werbung mit einem Flugzeugschweif und dem Slogan „9/11 – ich bin doch nicht blöd“ zu sehen.

Die Demonstranten geißelten die „Kriegspropaganda“ der „Lügenpresse“ wie ARD oder ZDF. Zum Ausgleich empfahlen sie auf Flugblättern „kritische Medien“ wie den Propagandasender der iranischen Mullahs, Press.tv, oder das neuerdings auch auf Deutsch sendende russische Pendant Russia Today. Dessen Moderatorin, die Montagsdemonstrantin Lea Frings, trat passenderweise auch auf der Demonstration auf.

Falsche Fakten

Dabei war der Umgang, den die Redner mit Tatsachen pflegten, zweifelhaft. Zum Auftakt etwa trug eine Schauspielerin eine Rede der Schriftstellerin Daniela Dahn vor. Dabei behauptete, die Gewinne der globalen Rüstungsindustrie seien „höher als das Einkommen der Hälfte der Weltbevölkerung“ – tatsächlich handelt es sich etwa um ein Neunzigstel –und die Waffengeschäfte seien das „weltweit wichtigste Geschäft der Banken“ geworden – in Wahrheit findet sich unter den 100 umsatzstärksten Unternehmen der Welt nur eine einzige Waffenschmiede.

Schließlich erklärte sie, es sei „kein Fall bekannt, in dem Nato-Gewalt nicht mindestens tausendmal mehr Menschen tötete, als die Nato zu schützen vorgegeben hat“. Das Publikum klatschte. Ähnlich begeistert waren die Teilnehmer vom Auftritt des Kabarettisten Reiner Kröhnert. Der gab vor dem Schloss Bellevue eine Gauck-Parodie zum Besten, wobei er mehrfach minutenlang in den Tonfall Adolf Hitlers verfiel.

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