Urteil Hamburger Gefahrengebiete: Links sein ist kein Grund für Kontrolle
Die Hamburger Polizei darf in Gefahrengebieten nicht willkürlich Personen durchsuchen, sagt ein Gericht. Doch das Urteil ändert wenig.
BERLIN taz | Das Oberverwaltungsgericht Hamburg hält die Einrichtung von Gefahrenzonen durch die Polizei für verfassungswidrig. Das teilte das Gericht am Mittwoch mit. Die Richter gaben einer Bewohnerin des Hamburger Schanzenviertels recht, die in der Nacht zum 1. Mai 2011 von der Polizei kontrolliert wurde. Ihr Rucksack wurde durchsucht, außerdem erhielt sie ein Aufenthaltsverbot und wurde bis früh morgens in Gewahrsam genommen.
Das Gericht stellte im Berufungsverfahren fest, dass nicht nur die Ingewahrsamnahme der Hamburgerin und das Aufenthaltsverbot rechtswidrig gewesen seien, sondern auch die Kontrolle der Identität und des Rucksacks. Die Frau sei von den Beamten ausgewählt worden, weil sie dem „linken Spektrum“ angehören könnte, hieß es in der Pressemitteilung – ein Kriterium, das unzulässig sei.
In der Walpurgisnacht 2011 befürchtete die Polizei, die Lage könnte eskalieren. Elf Polizisten wurden in jener Nacht in Hamburg bei Maikrawallen verletzt. Dennoch entschied das Oberverwaltungsgericht, dass die Regelung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße.
Die Voraussetzungen für ein Gefahrengebiet sind laut den Richtern unklar. Die Polizei entscheidet allein, ob und wie lange eine solches Gebiet ausgwiesen wird. Ein weiteres Problem: Die Gefahr bleibt abstrakt. Die Belastung, die mit dieser Strategie verbunden ist, sei nicht angemessen, so das Gericht.
„Schärfstes Gesetz Deutschlands“
Gefahrengebiete sind eine Hamburger Besonderheit. CDU-Innensenator Udo Nagel hatte sie 2005 eingeführt. Er freute sich damals über „das schärfste Polizeigesetz Deutschlands.“ Die Polizei bekommt durch die Regelung Sonderrechte: Personen dürfen kontrolliert werden, ohne dass eine konkrete Gefahr oder auch nur ein Verdacht vorliegt.
Bundesweit wurde die Regelung damals scharf kritisiert, weil sie zu noch mehr Gewalt führen könnte – vor allem als sie im Januar 2014 eingesetzt wurde, um die Demonstrationen für das autonome Kulturzentrum „Rote Flora“ unter Kontrolle zu halten. Die Stadtviertel St. Pauli, das Schanzenviertel und Teile Altonas wurden zu gefährlichem Terrain erklärt, zur größten Gefahrenzone bislang.
Gefunden hat die Polizei damals bei fast 1.000 Kontrollen eher wenig. Die Hamburger Linke veröffentlichte eine Liste der Polizei: 19 Böller wurden konfisziert, zwei Knüppel, ein Schlagstock, Pfefferspray, ein Taschenmesser und wenige weitere Gegenstände.
Das Urteil ist lediglich ein Hinweis des Gerichts, das die geltende Rechtslage nicht ändert. Dies könnte nur das Verfassungsgericht in Karlsruhe tun. Die Hamburger Gesetzgebung bleibt deshalb fürs erste unverändert, die Polizei darf weiterhin Gefahrenzonen ausweisen.
Leser*innenkommentare
Andreas_2020
eine "Bewohnerin des Hamburger Schanzenviertels ..., die in der Nacht zum 1. Mai 2011 von der Polizei kontrolliert wurde. Ihr Rucksack wurde durchsucht, außerdem erhielt sie ein Aufenthaltsverbot und wurde bis früh morgens in Gewahrsam genommen." (Zitat)
In welchem anderen zivilisierten Land der EU wird wahllos gegen Bewohner eines Stadtteils so vorgegangen? D
as ist doch eher ein Auszug einer diktatorischen, polizeistaatlichen Diktatur, als das Verfahren einer Polizei in einer rechtsstaatlichen Demokratie. Dass mit den Richtern ist nett, aber solange die SPD der Innenbehörde durchgebrante Hardliner an die Spitze setzt, kann sich das jederzeit wiederholen. Es kann noch schlimmer werden - jederzeit.
Und da sind wir noch nicht bei den Agenten und Infiltranten, die wahrscheinlich stetig an der Gewaltorientierung der linken Szene arbeiten und dieser m.M. aus dem Ruder laufenden Polizei und Innenbehörde die Vorwände für solche Maßnahmen liefern. Die SPD versagt doch hier.
In einer echten Demokratie würde doch Michael Neumann jetzt spätestens seine Fehler einräumen und seinen Hut nehmen. Aber das wird er nicht tun und die Grünen werden ihn sogar jetzt beschützen, schließlich haben sie jetzt 'ihre Leute' auf der Senatsbank.
Ruwka
Die Gefahrengebiete sind leider keine Hamburger Spezialität:
In Berlin heißen sie "kriminalitätsbelastete Orte"
http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article123804221/Das-sind-Berlins-geheime-Gefahrengebiete.html
In Bayern gibts dafür keinen Namen
http://www.gesetze-bayern.de/jportal/portal/page/bsbayprod.psml?showdoccase=1&doc.id=jlr-PolAufgGBY1990V19Art13
In Bremen sinds "Gefahrenorte"
http://www.weser-kurier.de/bremen_artikel,-Innenbehoerde-macht-Gefahrenorte-oeffentlich-_arid,82243.html
https://bremen.beck.de/default.aspx?vpath=bibdata%2fges%2fBrPolG%2fcont%2fBrPolG.P11.htm
In Hessen wieder ohne Bezeichnung
http://www.rv.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/1lq9/page/bshesprod.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=138&fromdoctodoc=yes&doc.id=jlr-SOGHErahmen%3Ajuris-lr00&doc.part=X&doc.price=0.0&doc.hl=1#jlr-SOGHEpP18
In NRW wieder, genauso in Rheinland-Pfalz.
In Sachsen sinds "Kriminalitätsbrennpunkte" bzw. "verrufene Orte"
http://www.sozialraum.de/die-konstruktion-gefaehrlicher-orte.php
und in Sachsen-Anhalt "gefährliche Orte".
Festzuhalten ist dass die Polizei in weiten Teilen Deutschlands tun und lassen darf was sie will, mehrere Freunde von mir waren schon von diesen Kontrollen betroffen und die Bullen kontrollieren (zumindest in Berlin) fast ausschließlich Leute mit dunklerer Hautfarbe, Leute die dem linken Spektrum zuordbar sind und Arme Menschen (z.b. Leute die Pfandflaschen sammeln oder betteln).
Rainer B.
Da wird man wohl das Verfassungsgericht anrufen müssen - mit guten Karten auf der Hand.
DDHecht
Und das wird so weitergehen, solange solche Urteile nicht auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, denn der Polizei und Staatsanwaltschaften ist doch so schon mal völlig egal, wie weit sie die Paragrafen dehnen müssen, da für sie kaum mehr als eine gerichtliche Feststellung der Unrechtmäßigkeit einer Maßnahme in der Folge zu erwarten sein wird. Was sollen dann solche Urteile, wenn es keine Auswirkungen auf die Praxis hat? Polizeikessel sind da das Dauerbeispiel, im Grunde illegal, was aber den Cops auch völlig egal ist.
Andreas_2020
@DDHecht Ja. Dieser Unsinn hat in Hamburg Tradition.
nzuli sana
Ich trage meine Gerichtsurteile auf meiner Tragetasche spazieren.