Dem politischen Druck widerstanden

■ Nach 42 Monaten endete gestern der "Mykonos"-Prozeß

Frithjof Kubsch gehörte gestern zweifellos zu den einsamsten Menschen in Deutschland. Über fünf Angeklagte hatte der Vorsitzende Richter am Berliner Kammergericht an insgesamt 246 Verhandlungstagen zu Gericht gesessen, hatte 42 Monate lang nur unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen seinem Beruf nachgehen können, ständig begleitet von Sicherheitsbeamten, chauffiert in einer gepanzerten Limousine. Fünf Strafen hatte er zu verkünden, doch erwartet wurde von ihm ein sechstes Urteil: ob der iranische Staat schuldig ist, das Attentat auf vier kurdischen Exilpolitiker im Berliner Lokal „Mykonos“ veranlaßt zu haben, ob der religiöse Führer des Iran, Ali Chamenei, und der Staatspräsident Ali Akbar Hashemi Rafsandschani des Mordes sich schuldig gemacht haben.

Sollte Kubsch den Iran als Drahtzieher benennen, so würde das zu einer Belastung der deutschen Iran-Politik führen, würde er gar den Namen des religiösen Führers Chamenei nennen, so hatte der Iran-Experte Udo Steinbach noch tags zuvor in der taz analysiert, drohte ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen.

Kubsch hat diesem enormen Druck widerstanden. In derselben gleichmütig-freundlichen Art, in der er die Verhandlung leitete, hat er gestern die an ihn gerichteten Erwartungen zunächst auf das justitiable Maß reduziert. Nein, nicht der Iran säße auf der Anklagebank, denn Hauptverhandlungen gegen Abwesende seien der deutschen Prozeßordnung fremd. Es habe auch keine „Beweiserhebung zu Staatsterrorismus“ gegeben, aber die Feststellung der Drahtzieher sei notwendig, weil sich nur so das Maß der Schuld der Angeklagten bemessen lasse.

Und die Feststellungen des Gerichts lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Die iranische Führung habe den Beschluß gefaßt, die Führung der KDP-I „nicht nur politisch zu bekämpfen, sondern sie zu liquidieren“.

Die Beweisaufnahme war vor allem von der Generalbundesanwaltschaft gegen den Willen der Bundesregierung vorangetrieben worden. Sie hat zeitraubend und manchmal mühselig die Verstrickungen des Iran in die Tat erhellt. Das hat dem Gericht, so Kubsch im Urteil, „Einblick in die Entscheidungsabläufe der iranischen staatlichen Führungsspitze gegeben, an deren Ende die Liquidierung von Regimegegnern im Ausland steht“. Und dann sagt das Gericht die für die politische Wirkung des Prozesses entscheidenden Sätze: „Die Beschlußfassung über entsprechende Operationen liegt in den Händen des geheimen und außerhalb der Verfassung stehenden ,Komitees für Sonderangelegenheiten‘, dem der Staatspräsident, der Minister des Geheimdienstes Vevak, der für die Außenpolitik zuständige Chef, Vertreter des Sicherheitsapparates und anderer Organisationen sowie der religiöse Führer angehören.“ „Ist das Ziel einer solchen Operation [mit Auslandsbezug, d. Red.] die Tötung eines Menschen, bestätigt der religiöse Führer als politische Instanz den sogenannten Tötungsbefehl, der die Scheinrechtfertigung für die spätere Tötung bildet.“

Das Gericht ist sich, so kann man annehmen, der politischen Brisanz dieser Worte bewußt. Hatte nicht schon die Nennung des religiösen Führers im Plädoyer der Staatsanwälte zu antideutschen Demonstrationen im Iran geführt, hatte nicht der Kanzler selbst daraufhin eiligst einen Brief an Präsident Rafsandschani geschrieben, in dem er betonte, daß es der deutschen Justiz fernliege, „die religiösen Gefühle ihres Volkes und seiner geistlichen Führung zu verletzen“? Auch Kohl kann sich nun die nüchterne „Klarstellung“ des Gerichts zu Gemüte führen, daß der religiöse Führer „nicht das geistliche Oberhaupt der Muslime“ sei, denn bei ihm, „der auch als Revolutionsführer bezeichnet wird, handelt es sich um ein nach der Revolution von 1979 geschaffenes politisches Amt, dessen Inhaber allerdings ein hochrangiger Kleriker sein muß“.

Diese Ausführungen dienen weniger der Erhellung des Tatzusammenhangs als vielmehr der Korrektur falscher Iran-Bilder. Allerdings ist mit diesen Worten auch die letzte Hoffnung zerstört, interpretierend den politischen Schaden (oder vielmehr Nutzen) des Richterspruchs zu begrenzen. Diese Hoffnung speiste sich aus dem Umstand, daß im Urteilstext den Namen Chamenei nicht ausdrücklich erwähnt wird. Die Ausführungen zeigen allerdings eindeutig, daß nur er gemeint sein kann. Und liest man sie vor dem Hintergrund der Aussagen des Zeugen „Quelle C“, so wird Chameneis zentrale Rolle im Terrorregime zur Gewißheit. Diese „Quelle C“, ein geflohener hoher Geheimdienstmitarbeiter namens Mesbahi hatte aus eigener Kenntnis von einem solchen von Chamenei unterschriebenen Tötungsbefehl berichtet.

Das Gericht machte allerdings auch deutlich, daß ein solcher Tötungsbefehl für schiitische Muslime keine Gehorsamspflicht begründe, sondern „einen ohne Urteil verfügten staatlichen Liquidierungsauftrag“ darstelle. Ein wie auch immer gearteter Befehlsnotstand für die Angeklagten läßt sich damit nicht rechtfertigen. Sie trifft die volle Schwere ihrer Schuld. Der Geheimdienstmitarbeiter Kazem Darabi und der Todesschütze Abbas Rhayel werden deshalb nicht mit einer vorzeitigen Beendigung ihrer lebenslangen Freiheitsstrafe rechnen können. Damit hat das Gericht auch allen Spekulationen die Nahrung entzogen, Darabi könnte auf politischen Druck hin vorzeitig aus der Haft entlassen und in den Iran abgeschoben werden.

Seit 1979 hat der Iran 220 Terroranschläge im Ausland verüben lassen, in 44 Fällen wurde Anklage erhoben, neun Tatverdächtige wurden in Abwesenheit, neun in Anwesenheit verurteilt. In den übrigen Fällen konnten Tatbeteiligte entkommen, manchmal unerkannt, manchmal als Diplomaten getarnt. Als gegen die Mörder des iranischen Exilpolitikers Schapur Bachtiar 1994 in Paris verhandelt wurde, ließ man den Angeklagten mit der direkten Verbindung zur iranischen Führung laufen. Beim Attentat auf Abdul Ghassemlou in Wien ließ man die Tatverdächtigen nach Teheran ausreisen. Im „Mykonos“-Verfahren wurde dem entsprechenden politischen Druck widerstanden. Richter Kubsch hat am Ende allen Grund gehabt, zufrieden zu sein. Dieter Rulff, Berlin