piwik no script img

Bürger wird, wer das lesen kann

Neue Verwaltungsvorschriften machen deutschen Pass davon abhängig, ob man sich mit Gleichaltrigen unterhalten kann und Zeitungslektüre in Deutsch pflegt  ■   Von Eberhard Seidel

Berlin (taz) – Bund und Länder haben sich nach wochenlangem Streit auf eine einheitliche Praxis bei der Umsetzung des neuen Staatsbürgerschaftsrechts, das im Januar in Kraft tritt, geeinigt. Wie das Bundesinnenministerium am Mittwoch in Berlin mitteilte, werden künftig höhere Anforderungen an die deutschen Sprachkenntnisse gestellt, als dies bei der bisherigen Einbürgerungsregelung der Fall war.

Darüber hinaus verzichtet die Verwaltungsvorschrift in der umstrittenen Frage der Überprüfung der Verfassungstreue bewusst auf eine Vorgabe. Das bedeutet, dass die Bundesländer, die dies für erforderlich halten, auch weiterhin Einbürgerungswillige unter Extremismusverdacht stellen und eine so genannte Regelanfrage beim Verfassungsschutz machen können. Diese Absicht haben nach derzeitigem Kenntnisstand Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Sachsen und Thüringen.

„Ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache“ sind nach der neuen Vorschrift in diesem Fall gegeben: Der Einbürgerungsbewerber kann sich in seiner deutschen Umgebung sprachlich zurechtfindet – das heißt er kann Alter und Bildungsstand entsprechend ein Gespräch führen. Auch einen Zeitungsartikel soll er lesen, verstehen und den Inhalt mündlich wiedergeben können. Auf welche Zeitungen dabei zurückgegriffen werden soll, bleibt offen. Geringere Anforderungen sind für Ehegatten, Kinder und Personen über 60 mit einem Mindestaufenthalt von zwölf Jahren geplant.

Die neuen Regularien tragen die Handschrift der CDU-regierten Bundesländer. Diese drängten in den letzten Wochen darauf, dass entgegen dem Willen von Rot-Grün auch in Zukunft Regelanfragen beim Verfassungsschutz möglich sein müssen und die sprachlichen Anforderungen an Einbürgerungswillige entsprechend hoch sein müssten.

Trotz erheblicher Konzessionen feiert man bei Rot-Grün die Vorschriften, denen Kabinett und Bundesrat noch zustimmen müssen, als Erfolg. Der ausländerpolitische Experte Eckhardt Barthel (SPD): „Ich bewerte das Ziel einheitlicher Regelungen positiv.“ Und der Sprecher der Bundesausländerbeauftragten Marieluise Beck meint: „Die Verwaltungsvorschriften schaffen bundesweit einheitliche Regelungen und Rechtssicherheit. Die Spielräume der Länder bei der Einbürgerung sind enger gezogen.“ Den innenpolitischen Sprecher der Grünen, Cem Özdemir, freut, dass sich der bayerische Innenminister Günter Beckstein nicht habe durchsetzen können.

Beckstein forderte die Regelanfrage beim Verfassungsschutz – dieses Recht hat er nun. Und auch eine Überprüfung der Deutschkenntnisse „in Wort und Schrift“. Auf das von Beckstein geforderte Diktat wurde zwar verzichtet, allerdings sind die Anforderungen an die Deutschkenntnisse so breit gefasst, dass Kandidaten bei entsprechend bösem politischen Willen mühelos aus dem Anerkennungsverfahren für einen deutschen Pass geprüft werden können. Özdemir räumte ein, dass die Einbürgerungspraxis in den Bundesländern auch in Zukunft sehr unterschiedlich sein wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen