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landwehrkanalPizza statt Hellsicht

Vielleicht wäre es ab und zu gut gewesen, die Kreuzberger Kiezbourgeosie des „Casolare“ hätte statt nur auf den Pizzateller oder ins süffige Rotweinglas mal hinüber zum alten Landwehrkanal geguckt. Den vielen Besuchern des Restaurants – unter denen sich garantiert einige Architekten tummeln – hätte bei klarer Sicht auffallen können, dass mit dem Uferstreifen schon lange nichts mehr stimmt. Seit Jahren bröckelt die Befestigung. Seit noch längerer Zeit sind infolge der Schifffahrtsnutzungen Unterspülungen aufgetreten. Und seit Ewigkeiten erobert sich die Natur die Wasserstraße zurück.

KOMMENTAR VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Jetzt, da der 120 Jahre alte Kanalrand im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser zu fallen droht, regt sich Widerstand im „Casolare“-Kiez. Doch wie? Weil zur Sanierung der Uferanlagen rund 200 Bäume gekappt werden müssen, darunter womöglich Kastanien vor der besagten Pizzeria, macht man sich über den Verlust der Bäume weitaus mehr Sorgen als über verrottete Spundwände.

Das riecht nach Ablenkungsmanöver. Natürlich ist der Bund als Eigentümer der Wasserstraße verantwortlich, auf seine maroden Uferböschungen zu schauen. Klar ist auch, dass das Berliner Wasser- und Schifffahrtsamt längst hätte Alarm schlagen müssen. Und außerdem ist es ein Schaden, wenn Bäume fallen. Menschen, Vogelarten, Insekten, das Stadtklima und die typische Perspektive am Landwehrkanal werden darunter leiden.

Mehr noch ist es aber ein Manko, dass sich das selbstbestimmte Kreuzberg – das selbst McDonald’s aufs Dach steigt – hier nicht um seinen öffentlichen Raum gekümmert hat. Mal unterstellt, dass niemand die Revision des Kanals zum Biotop wollte, so haben die meisten geschlafen – und pflegen lieber ihren eigenen ideologischen Vorgarten.

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