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Kittelschürzen von Schwiegermama

Bundesweit sind innerhalb kurzer Zeit 37 Selbsthilfegruppen für Schwiegertöchter entstanden. Auch selbstbewußte Frauen leiden unter der Fuchtel distanzloser und rabiater Schwiegermütter  ■ Von Heide Platen

Schwiegermutter wohnt im Erdgeschoß des Reihenhauses in Frankfurt-Niederrad. Das Haus ist für Generationen gebaut. „Leider“, sagt Gerhild N., denn sie wohnte noch vor wenigen Wochen im ersten Stock, Küche und Wohnzimmer mit Schwiegermutter gemeinsam. Die Chefsekretärin hatte den Sohn des Hauses, einen Filialleiter ihrer Firma, geheiratet. Und, weiß sie heute, Schwiegermutter gleich mit.

Gerhild N. hatte alle Warnzeichen übersehen, als sie Mutters Sohn ehelichte. Ruth Gall, die Gründerin der ersten Selbsthilfegruppe für schwiegermuttergeschädigte Frauen, hätte sie warnen können. Dann hätte es sie mißtrauisch gemacht, daß ihr Mann, ein dynamischer Mittdreißiger, immer noch bei seiner verwitweten Mutter lebte. Als ihr Verlobter seine Auserwählte zum ersten Mal mit nach Hause brachte, hatte die Schwiegermama sie gleich gefragt, warum sie denn mit über 30 immer noch nicht verheiratet sei und warum sie nach der Eheschließung unbedingt berufstätig bleiben wolle? Für Kinder werde es doch dann bald zu spät sein? Darüber hat sie damals noch gelacht.

Heute lacht Gerhild N. nicht mehr, sondern ist nach einer Phase der Depression vor allem wütend über die alltägliche und systematische Verletzung ihrer Privatsphäre. Schwiegermutter habe, sagt sie, „von Anfang an keine Diskretion gekannt“. Sie mischte sich in alles ein und machte sich massiv daran, die Frau ihres Sohnes zu terrorisieren: „Sie wollte, daß ich mich nach ihren Vorstellungen verändere.“

Zuerst einmal wurden die neu eingeräumten Schränke inspiziert. Und dann der Bestand kritisiert und in freigiebigem Psychoterror nach Schwiegermuttes Geschmack ergänzt: „Das hat mich wahnsinnig gemacht.“ Die junge Frau, die sich sicher in Chefetagen bewegt, wurde schon an der Wohnungstür in Filzhausschuhe genötigt, fand neben ihren Kostümen geblümte Kittelschürzen „für die Hausarbeit“ vor. Dazu kamen Spitzendecken, Sofakissen, selbstgestickte Wandbilder, und schließlich tauschte Schwiegermutter die schlichten Bücherregale als „nachträgliches Hochzeitsgeschenk“ gegen eine altdeutsche Schrankwand aus, weil die Bücher „Staubfänger“ seien. Ihr Frischangetrauter fand das alles auch scheußlich, reagierte aber immer wieder nur mit seinem Standardsatz: „Die Mama meint es doch nur gut.“

Gerhild N., die sich nach und nach völlig depraviert führte, stellte ihrem Ehemann ein letztes Ultimatum zum Auszug: „Da sagte er, er könne die arme, alte Frau doch nicht alleine lassen.“ Gerhild N. packte nach drei Jahren ihre Koffer und verließ das Schlachtfeld: „Heute frage ich mich, warum ich das überhaupt so lange ausgehalten habe.“

Schwiegermütter sind Scheidungsgrund bei jeder achten Ehe, sagt Birgit Neumann. Sie hat im Sommer begonnen, auch in Frankfurt am Main eine Selbsthilfegruppe nach dem Modell von Ruth Gall ins Leben zu rufen. Sie ist nicht nur schwer geschädigte Schwiegertochter gewesen, sondern mittlerweile auch Schwiegermutter. Und mußte mitansehen, wie nun die Mutter ihres Schwiegersohnes ihrer Tochter das Leben zur Hölle machte. Sie selbst ist, ehe sie aus dem schwiegerelterlichen Haus auszog, regelmäßig heruntergeputzt und schließlich auch von Schwiegervater und Schwager verprügelt worden. Sie hatte lange gebraucht, ehe sie flüchtete, und vorher ihren Kardinalsfehler immer wieder wiederholt: „Ich wollte den Schwiegereltern gefallen und ihnen alles recht machen.“ Sie habe „die Fehler“ immer wieder bei sich selbst gesucht und nicht begriffen: „Das war keine neue Familie. Das sind völlig fremde Leute, die da angefangen haben, mich zu beherrschen.“ Ihre Tochter hat es nun, mit der Hilfe ihrer Mutter und nach langen Gesprächen, geschafft, ihren Ehemann zur Umzug in eine andere Stadt zu bewegen.

Birgit Neumann hat inzwischen begonnen, Flugblätter mit ihrer Telefonnummer in Frankfurter Veranstaltungszentren und in Läden zu verteilen, und etliche Anrufe bekommen: „Aber das läuft langsam an, denn da ist sehr viel Angst bei den Frauen.“ Das sei in der Stadt nicht anders als auf dem Land. Daß das Problem, das auch sie zeitweilig schon fast überwunden glaubte, wieder zunimmt, könnte damit zusammenhängen, vermutet sie, daß unter verschärften ökonomischen Bedingungen die Zahl junger Paare, die im Elternhaus wohnen, wieder zunimmt.

Ruth Gall schildert in ihrem im Frühjahr erschienenen Buch „Hab mich doch gern, Schwiegermutter“ ihre Erfahrungen seit Gründung der ersten Gruppe. Sie war selbst überrascht von der riesigen Resonanz. 2.500 Frauen hat sie inzwischen selbst beraten: „Ich bekomme nur noch die extremen Fälle.“ Das sind solche Schwiegertöchter, die nicht nur mit der Einmischung in die Ehe, übler Nachrede, dem Bruch des Postgeheimnisses, sondern auch mit der systematischen Entfremdung der eigenen Kinder durch die Schwiegermutter und mit körperlicher Gewalt fertig werden mußten. Bundesweit sind inzwischen 37 Initiativen entstanden. Gall rät den Frauen: „Verlaßt eure Isolation und helft euch oder laßt euch helfen. Raus aus dem Dramadreieck und raus aus der Leidensbereitschaft.“

Das alleine, sagt Gerhild N. heute, hätte ihr nicht geholfen: „Geredet habe ich viel zuviel und viel zu lange.“ Ihr sei es erst nach ihrem Auszug besser gegangen, nachdem sie „das Wichtigste“ gelernt habe: „In dieser Dreierbeziehung war eine zuviel, und das war ich!“ Und zuckt zusammen, als das Telefon klingelt. „Nein“, sagt sie hinterher erleichtert, „meine neue Geheimnummer hat Schwiegermutter noch nicht rausgekriegt.“ Diese Reaktion hätte Ruth Gall gar nicht gewundert: „Frauen können auch 250 Kilometer weit wegziehen. Und nehmen die Schwiegermutter im Gepäck mit. Die sitzt ihnen im Kopf und auf der Seele.“ Gall: „Sie müssen lernen, Grenzen, einen kräftigen Strich zu ziehen.“ Das aber falle vielen Frauen schwer, denn „auch heute werden noch“, ist ihre Erfahrung, „brave Mädchen in den Familien am Fließband produziert“.

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