: Osnabrück kotzt weiter
Auch nach dem Brechmittel-Unfall in Bremen drängt Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann weiter auf das umstrittene Vorgehen gegen Dealer. Die Praktiker sind skeptisch
Auch wenn in Bremen ein mutmaßlicher Drogendealer wegen Brechmitteleinsatzes im Hirnkoma liegt: Niedersachsen lässt weiter kotzen. „Wir werden von unserer Praxis nicht abgehen“, sagt ein Sprecher des Innenministeriums. Nach dem Tod eines Hamburger Dealers vor drei Jahren hatte das damals noch SPD-geführte Niedersachsen den zwangsweisen Einsatz von Brechmitteln ausgesetzt. Erst CDU-Innenminister Uwe Schünemann forderte die Polizeibeamten wieder auf, einen umstrittenen Erlass des Justizministeriums zu befolgen: Es könne nicht angehen, „dass die Polizei nichts tun kann, wenn Dealer vor ihren Augen Drogen schlucken“, wetterte er.
Das in Niedersachsen zum Brechen verabreichte Apomorphin – übrigens in geringeren Dosen auch als Potenzmittel zugelassen – sei völlig ungefährlich, sagte der Innenminister. In Hamburg hatte die Brechwurzel Ipecacuahna vor drei Jahren zum Tod eines Dealers geführt. Bei dem Fall in Bremen war der Magen eines Delinquenten mit Wasser vollgepumpt worden. Dadurch war der Mann laut Aussage eines Arztes ertrunken.
Interessant ist, dass nicht alle Praktiker dem Innenminister folgen: In Hannover wurde bislang kein angeblicher Drogendealer dazu gezwungen, die so genannten ,Bömbchen‘ (Polizeijargon) zu erbrechen. „Das ist ein schwerwiegender Eingriff“, sagt Polizeipräsident Hans-Dieter Klosa der taz. Im vergangenen Jahr hatte Schünemann in „Abstimmungsgesprächen“ mit der Polizei in Hannover auf das Verabreichen von Apomorphin gedrungen. Die hatte das Mittel bislang als „uneffektiv“ empfunden. Zudem ist sein Einsatz laut Klosa „meist nicht nötig“. Häufig gebe es Zeugen, die bestätigen, dass gedealt wurde. Das reiche als Beweis. Aber es gibt auch praktische Probleme: Bislang habe sich in Hannover kein Arzt gefunden, der Apomorphin verabreichen will, sagt Klosa.
Die Prozedur ist nämlich nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig – und zwar für alle Beteiligten. „Nicht jeder Kollege hält die Prozedur durch“, sagt Martin Ratermann, Sprecher der Polizeidirektion Osnabrück. In der Stadt Osnabrück wurden im vergangenen Jahr zweimal Dealer auf Anweisung eines Staatsanwalts zum Erbrechen gezwungen. Dabei rüsten sich die beteiligten Polizisten, Ärzte und Sanitäter mit Schürze und Eimer. Dennoch: Die Erfahrungen mit Apomorphin in Osnabrück seien „durchaus positiv. Deshalb setzen wir das Mittel auch weiterhin ein.“ Ksc
siehe auch SEITE 6
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