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Aus einem tiefen Schlund

Watergate hat Amerika erschüttert. Ob Monika- oder Enron- – seitdem trägt jeder Skandal von Format das Suffix -gate

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Dreißig Jahre lang war „Deep Throat“ der berühmteste anonyme Informant im US-Journalismus. Seine Hinweise lösten den Watergate-Skandal aus und brachten Präsident Richard Nixon zu Fall. Nun ist das Geheimnis um ihn gelüftet. Die überraschende Nachricht katapultierte den berüchtigtsten politischen Skandal der US-Geschichte noch einmal in die Schlagzeilen.

Watergate gilt in den USA als die Mutter aller Skandale. Fast jede weitere Affäre bekam fortan das Suffix „-gate“ angehängt: Monikagate zum Beispiel oder Enrongate. Watergate enthüllte über zwei Jahre lang Stück für Stück ein innenpolitisches Spinnennetz aus Intrige, Betrug, Bestechung und Sabotage. Der Skandal veränderte nachhaltig die politische Landschaft Amerikas, erschütterte das Vertrauen der Bevölkerung in das Präsidentenamt und die politische Kaste.

Alles begann im Juni 1972 mit einem harmlos scheinenden Einbruch in die Wahlkampfzentrale der Demokraten in einem weiträumigen Gebäudekomplex namens Watergate unweit des Potomac-Flusses. Fünf Männer wurden ertappt, wie sie die Büros verwanzen wollten. Die Spur des Einbruchs während des laufenden Wahlkampfs führte zu einem Unterstützerkomitee für den amtierenden Präsidenten Nixon und deutete auf Manipulationsversuche, die direkt aus dem Oval Office kamen. Sie versandete jedoch zunächst, da die Täter und zwei Komplizen, im Januar 1973 zu saftigen Gefängnisstrafen verurteilt, schwiegen.

Die Affäre begann sich erst auszuweiten, als einer der Verurteilten sich dem Richter anvertraute und auf eine Verschwörungs- und Verdunklungskampagne des Weißen Hauses hinwies. Im Mai 1973 begann der US-Senat weitreichende Untersuchungen, die über Monate alle wichtigen Figuren der Nixon-Regierung in den Zeugenstand riefen und im Fernsehen übertragen wurden. Unter wachsendem öffentlichem Druck willigte Nixon ein, seine im Zusammenhang mit Watergate auf Tonband aufgezeichneten Gespräche auszuhändigen. Auf ihnen ist festgehalten, dass er von den Verwicklungen gewusst und die Nachforschungen des FBI behindert hatte. Am 8. August 1974, nachdem das Abgeordnetenhaus Schritte zu seiner Amtsenthebung eingeleitet hatte, trat Nixon zurück. Es war das erste Mal, dass ein US-Präsident aufgab. Der so Gebrandmarkte entging einem Prozess nur, weil ihn sein Nachfolger Gerald Ford begnadigte. Einige der engsten Mitarbeiter Nixons wurden jedoch verurteilt.

Als eine zentrale Konsequenz aus Watergate verabschiedete der Kongress Gesetze, die eine amtierende US-Regierung zwingen, interne Informationen offen zu legen. Der Freedom of Information Act etwa erlaubte der US-Bürgerrechtsgruppe Aclu kürzlich Einsicht in FBI-Dokumente über das Internierungslager Guantánamo, die letzte Woche veröffentlicht wurden.

Watergate verhalf damals der amerikanischen Presse zu bis dahin unbekanntem öffentlichem Ansehen und Einfluss. Die Washington-Post-Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein enthüllten die explosivsten Puzzlesteine des Skandals und wurden so in den USA zu Vorbildern des investigativen Journalismus. Ihr Buch „All the President’s Men“ kam auf die Bestsellerlisten und wurde später in „Die Unbestechlichen“ mit Dustin Hoffman und Robert Redford verfilmt.

„Deep Throat“, Bernsteins und Woodwards FBI-Quelle, lebte in ständiger Angst, enttarnt zu werden. Er bestand darauf, keine Telefonate mehr zu führen. Stattdessen gab er den beiden Journalisten seine Hinweise persönlich, in der Tiefgarage. Um Treffen zu verabreden, wurde ein Code vereinbart. Wollte Woodward seinen Informanten treffen, stellte er einen Blumentopf mit einer roten Fahne auf den Balkon seiner Wohnung. Wünschte „Deep Throat“ eine Begegnung, erschienen auf bislang mysteriöse Weise die Zeiger einer Uhr auf Seite 20 von Woodwards nach Hause bestelltem Exemplar der New York Times.

Es ist eine Ironie oder publizistischer Geniestreich von Vanity Fair, dass sich „Deep Throat“ ausgerechnet zu einem Zeitpunkt selbst enttarnt, als in den USA eine hitzige Debatte um die Verwendung anonymer Quellen entbrannt ist. Eingeschüchtert durch die Veröffentlichung halbgarer Informationen eines Informanten im Zusammenhang mit Koranschändungen in Guantánamo, verschärfte Newsweek seinen Umgang mit diesen Quellen und will sie nur noch in Ausnahmefällen zulassen. Dabei sind sie, wie „Deep Throat“ zeigt, unverzichtbarer Bestandteil öffentlicher Aufklärung.

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