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Kaderschmiede des Graumarkt-Handels

Der Bruder von Noch-Daimler-Chef Jürgen Schrempp soll illegale Geschäfte mit billigen Exportautos betrieben haben. Der Konzern gibt an, darüber keine Kenntnis zu haben. Was wusste Jürgen Schrempp über die Aktivitäten seines Bruders Wolfgang?

VON HANNES KOCH

Die Affäre um illegale Mercedes-Exporte am grauen Markt dehnt sich auf Wolfgang Schrempp aus, den jüngeren Bruder von Noch-Daimler-Chef Jürgen Schrempp. „Nach unseren Informationen spricht vieles dafür, dass die Mercedes-Niederlassung in München die Kaderschmiede des Graumarkt-Handels gewesen sein soll“, erklärt Jürgen Grässlin, Sprecher der Kritischen Aktionäre von DaimlerChrysler. Wolfgang Schrempp leitete von 1995 bis 1999 die Münchner Mercedes-Filiale, die weltweit zu den größten Niederlassungen des Autokonzerns gehört.

Vorstandsvorsitzender Jürgen Schrempp sei in der Vergangenheit zudem schriftlich informiert worden, dass ein Familienmitglied in Graumarkt-Geschäfte verwickelt sein könnte, erklärt Grässlin. Schrempp hat am vergangenen Donnerstag seinen vorzeitigen Rücktritt zum Jahresende bekannt gegeben. Ob dieser Schritt mit der Graumarkt-Affäre zusammenhängt, ist unklar. Mehrere Staatsanwaltschaften ermitteln bereits gegen mindestens 17 Personen, darunter befinden sich auch ehemalige Daimler-Manager. Die Ermittlungen erstrecken sich auch auf den Verdacht der Untreue und Bestechlichkeit.

Bei den so genannten Graumarkt-Geschäften verkaufen Mercedes-Händler große Mengen von Fahrzeugen mit hohem Rabatt an externe Zwischenhändler. Diese veräußern die Limousinen im Ausland, wobei sie die Preise der dortigen Vertragshändler von Mercedes unterbieten. Diese Geschäfte widersprechen einer EU-Richtlinie und sollen nicht selten mit Steuerhinterziehung einhergehen.

Inzwischen ist Wolfgang Schrempp zuständig für den Mercedes-Vertrieb in Italien. Nach Informationen der Kritischen Aktionäre hat Wolfgang Schrempp in seiner Münchner Zeit ein ausgedehntes Netz von Graumarktgeschäften unterhalten. Auch dem Magazin Stern liegen solche Informationen vor. Die Zeitschrift beruft sich auf einen „langjährigen Mercedes-Vertriebsmanager“, der die Abgabe „großer Mengen von Mercedes-Fahrzeugen an Graumarkthändler“ unter Wolfgang Schrempp bestätigt habe.

„Wolfgang Schrempp wird nicht im Abschlussbericht der Konzern-Revision genannt. Es gibt keinen Bezug zu den Unregelmäßigkeiten“, erklärte dazu gestern eine Sprecherin von DaimlerChrysler. Das Unternehmen hatte selbst Nachforschungen angestellt. Mehrere Niederlassungsleiter mussten ihre Posten bereits räumen.

Für den Kritischen Aktionär Grässlin sind das „alles nur Bauernopfer“. In seiner Einschätzung stützt er sich unter anderem auf einen ehemaligen Graumarkthändler, den Spediteur Gerhard Schweinle. „Meiner Kenntnis nach hat Herr Schweinle die Stuttgarter Ermittlungsbehörden und Jürgen Schrempp schriftlich darauf aufmerksam gemacht, dass es Hinweise auf Graumarktgeschäfte im familiären Umfeld des Vorstandsvorsitzenden geben soll.“ Die Frage ist nun, ob DaimlerChrysler-Chef Schrempp persönlich über mögliche Verfehlungen seines Bruders informiert war.

Nicht nur für DaimlerChrysler bietet der graue Markt einen oft willkommenen, informellen Vertriebsweg. Dieser wird besonders für Fahrzeuge genutzt, die zum normalen Preis nicht mehr zu verkaufen sind. Die Europäische Union hat den Herstellern ihr gegenwärtiges Netz von exklusiven Vertragshändlern nur unter der Bedingung genehmigt, dass der graue Markt nicht beliefert wird. Bei Zuwiderhandlung drohen unter anderem hohe Geldbußen.

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