piwik no script img

Mildernde Umstände

■ Chaos-Tage: Große Koalition und AfB stimmen gegen grüne Mißbilligung des Innensenators

Innensenator Ralf H. Borttscheller (CDU) ist genetisch vorbelastet. Bei der Beurteilung seiner Äußerungen muß man milderne Umstände walten lassen. Dazu hat jedenfalls Justizsenator und Bürgermeister Henning Scherf (SPD) gestern in der Bürgerschaft die Abgeordneten der Grünen aufgefordert. Er wollte die Fraktion offenbar dazu bewegen, den Mißbilligungsantrag gegen Borttscheller zurückzunehmen.

Wie berichtet hatte der Innensenator die Kritik an der Unterbringung der 305 Jugendlichen, die während der Chaos-Tage nach ihrer Ingewahrsamnahme von der Polizei in eine Garage gesteckt worden waren, zurückgewiesen. Die Jugendlichen hatten zum Teil bis zu 30 Stunden ohne Decken auf dem kahlen Betonboden im Polizeigewahrsam verbracht. Außerdem wurden von den 305 Jugendlichen – entgegen den gesetzlichen Vorschriften – nur elf dem Richter vorgeführt. „Jeder Gewalttäter weiß, daß eine Belegung von Drei-Sterne-Hotels nach dem Polizeigesetz nicht vorgesehen ist“, wies der Innensenator die Kritik seinerzeit zurück.

„Borttscheller ist, wie er ist, ein Mensch mit Ecken und Kanten. Seinen Humor hat er von seinem Vater, auf den er sehr stolz ist“, verteidigte Scherf seinen Senatskollegen gegen den Mißbilligungsantrag der Grünen. Doch die konnten keine mildernen Umstände erkennen. „Eine unglaubliche sprachliche Entgleisung“, fand Martin Thomas (Grüne). Ihm ging es um mehr als nur um diese Bemerkung. „Sie haben immer noch nicht verstanden, daß ihre Worte als Senator ungemein viel schwerer wiegen als die Sprüche des ehemaligen innenpolitischen Sprechers der CDU-Opposition“, rief er Borttscheller zu. Noch vor wenigen Tagen habe der Innensenator junge PolizistInnen bei ihrer Vereidigung zur „Toleranz“ ermahnt und ihnen „die Werte des Grundgesetzes“ ans Herz gelegt. „Sie setzen sich aber in unglaublicher Weise über rechtsstaatliche Grundsätze hinweg“, schimpfte Thomas. Das sei für die PolizistInnen geradezu ein „Signal“, es mit den Rechtsvorschriften nicht so genau zu nehmen, schließlich fühlten sie sich durch den Innensenator „gedeckt“.

Die Äußerung sei kein Grund, Borttscheller zu rügen, fand hingegen Albert Marken (AfB). Bei der Polizei gebe es viel zu kritisieren, sagte der ehemalige Polizist und nannte das Haushaltsloch im Innenressort, die fehlende Polizeireform sowie die Ausbildung. „Aber diese Äußerung ist kein Grund. Für einen Mißbilligungsantrag ist das zu billig.“

SPD und CDU schlugen in die gleiche Kerbe, so daß nur die Grünen für ihren eigenen Mißbilligungsantrag stimmten. Damit will sich die Fraktion allerdings nicht zufriedengeben. Sie wollen den Polizeieinsatz während der Chaos-Tage jetzt noch einmal in der Innendeputation überprüfen lassen, nachdem Bremer Anwälte dem Polizeipräsidenten vorgeworfen haben, er habe den Innen-Deputierten über den Verlauf der Chaos-Tage die Unwahrheit gesagt (siehe taz 24.9). kes

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen