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■ SPD und Grüne werden 1998, anders als 1994, die gesellschaftliche Bewegung hinter sich haben. Wer das übersieht, hilft bloß Kohl. Eine Antwort auf Micha BrumlikWarum wir 1998 eine Chance haben

Ist Rot-Grün im Bund eine Illusion, wie Micha Brumlik kürzlich in der taz orakelte? Sind also zwei Jahrzehnte Kohl-Regierung unvermeidbar? Oder gibt es doch eine realistische Chance für einen Wechsel?

Gewiß, die SPD verweigert derzeit formelhaft jede Koalitionsaussage. Doch wer dies als Beleg für die Absage an einen politischen Wandel nimmt, verkennt, daß sich unter der Oberfläche medialer Schaukämpfe und wahltaktischer Finten eine nicht nur symbolische Hinwendung zu Rot-Grün abzeichnet. So intensivieren sich seit Monaten die Kontakte der Gewerkschaften zu den Grünen. Der DGB beschloß im November letzten Jahres im Dresdner Grundsatzprogramm den „ökologischen Umbau“, in Bonn mehren sich die Zeichen für eine inhaltliche Zusammenarbeit der Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen. Hier vollzieht sich ein Meinungswandel mit Zustimmung „von unten“, der die Zukunft dieses Landes nicht nur der Wahlarithmetik überlassen will, sondern die Machtfrage stellt.

Und das war vor Bundestagswahlen noch nie so, seit die Grünen in die Parlamente einzogen. Wer sich an den Wahlkampf 1986 erinnert, weiß, daß sich die rot-grünen Hoffnungen nach Tschernobyl lediglich auf eine von Angst motivierte Stimmabgabe stützten. Von gesellschaftlichen Mehrheiten für Reformprojekte konnte man damals kaum zu träumen wagen: Die Gewerkschaften führten die Grünen damals noch gern als Schreckgespenst vor. 1990 erwärmten wir uns am prima Klima, leider meilenweit an den aktuellen Sorgen der Wähler vorbei.

Auch 1994 haben manche schon von der „linkesten Regierung seit 1919“ (Micha Brumlik) geträumt – unter Einbindung der PDS. Das verhalf allerdings dem damals schon abgeschriebenen Kohl zur unerwarteten Wiederauferstehung. Resümee: In keinem dieser Wahlkämpfe war auch nur ansatzweise erkennbar, daß entscheidende gesellschaftliche Gruppen einen politischen Wandel wollten.

Das ist heute anders. Nachdem das von Kohl abservierte „Bündnis für Arbeit“ auch dem gutgläubigsten Gewerkschafter vor Augen führte, daß sie für die CDU nur als wahltaktische Manövriermasse mißbraucht werden, reift auch in deren Reihen (bei Basis und Führung) der Wille zum Wechsel. Scharping, Schulte und Zwickel haben erkannt, daß Rot-Grün die „realistischste“ Perspektive des Wechsels ist. Und dazu kommt: Die Bündnisgrünen sind an vier Länderregierungen beteiligt und beweisen damit den Wählern seit Jahren Regierungsfähigkeit und Reformwillen. Bessere Voraussetzungen für einen Wechsel gab es nie zuvor.

Nun haben einige Mitglieder der grünen Landtagsfraktion in NRW Anfang Januar eine „Bilanz“ der rot-grünen Landesregierung veröffentlicht. Dort wird, in der Manier eines Buchhalters, versucht, den Erfolg der rot-grünen Reformpolitik in Mark und Pfennig zu messen. Schon diese Methode mußte für eine Partei befremdlich wirken, deren Wurzeln in gesellschaftlichen Bewegungen lagen, in denen das Prozeßhafte von Politik begriffen wurde. Micha Brumlik nahm diese „Bilanz“ zum Anlaß, an den Reaktionen „grüner Realos“ (wer immer das auch heute noch sein mag) einen „neuen Fundamentalismus des Mitmachens um jeden Preis“ abzulesen.

Doch die Verkürzung von Politik auf Haushaltszahlen isoliert uns von den gesellschaftlichen Prozessen. Und wer, wie die Bilanzpapier-Kritiker, glaubt, eine Koalition werde von ihren Wählern daran gemessen, wieviel Strichansätze aus den Wahlprogrammen abgearbeitet seien, verkennt, daß sich das reale Leben eben nicht nach den Programmen der Parteien richtet.

Die Koalition in NRW will kein Modell für eine zukünftige rot- grüne Bundesregierung sein. Trotzdem steht außer Zweifel, daß das sozialdemokratisch geprägte Land, in welchem sich der notwendige Strukturwandel der traditionellen Industriegesellschaft bereits vollzieht, ein Prüfstein ist. Wenn Rot-Grün in Düsseldorf überlebt, wird sich die politische Kultur dieser Republik verändern. Es geht, kurz gesagt, um Kontinuität. Denn auch der zum Wechsel bereite Wähler will 1998 eine verläßliche Perspektive. So wird eine rot- grüne Bundesregierung wohl nur zustande kommen, wenn sie Wandel und die Sicherheit gleichermaßen glaubhaft macht. Altlinke Träume von einer Politik, die sich in lautstarkem Protest und (selbst-)gerechter Empörung außerhalb der Parteien und Parlamente abspielt, sind hingegen bloß ein Lebenselixier für die ruinierte Bonner Koalition. Fragt sich: Was können und wollen die Grünen in einer Bundesregierung? Die derzeitige Krise und der gewaltige Reformstau in der Wirtschafts- und Energiepolitik, der Steuerpolitik, der Umbau der Sozialversicherungssysteme und der ökologische Umbau der Industriegesellschaft eignen sich nicht für leichtfertige und vollmundige Wahlversprechen. Die Versuchung ist groß, populistisch den Erhalt des Status quo zu versprechen. Solche Bestrebungen existieren vor allem in der SPD und den Gewerkschaften. Doch wer glaubt, Rot-Grün könne sich im hinhaltenden Widerstand gegen notwendige Reformen erschöpfen, wäre in einer großen Koalition mit Schäuble und Schröder wohl besser aufgehoben.

Eine solche große Koalition in Bonn wäre allerdings, auch wenn die stabilen Mehrheitsverhältnisse verlockend erscheinen, keine Lösung. Das zeigt ein Blick in die Länder, die von SPD und CDU gemeinsam regiert werden (oder wurden): Baden-Württemberg, Berlin und Bremen. Während Baden-Württemberg unter der großen Koalition in seiner Wirtschaftskraft verloren hat, entwickelten sich die rot-grün regierten Länder NRW und Hessen zu Rekordzahlern in den Länderfinanzausgleich. Die Beschränkung auf diesen Vergleich sei erlaubt, weil Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik derzeit enorm wichtig sind und Grüne von Konservativen immer noch gern als Wirtschaftsfeinde und Arbeitsplatzvernichter gescholten werden. Berlins Schuldenberg ist unter der großen Koalition explodiert, ihr Markenzeichen ist die Unbeweglichkeit. Nicht viel anders ist es in Bremen. Und in allen drei Ländern war der Einstieg in die große Koalition für die SPD zugleich der Abstieg als Volkspartei. Das wissen auch die Strategen in der Baracke. Manfred Morgenstern

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