: Wußte Bonner Politik von der RAF-Stasi-Connection?
■ Der Vorwurf der Strafvereitelung ist schwer zu halten: Indizien weisen darauf hin, daß die damalige Bundesregierung über den Verbleib der Aussteiger im Bilde war
Die Konstruktion der Anklage ist reichlich abenteuerlich. Strafvereitelung wird den ehemaligen Offizieren aus der Stasi-Hauptabteilung XXII vorgeworfen, obwohl sie sich nach altem DDR-Recht nicht strafbar gemacht haben. Der Vorwurf wird mit einem Umweg hergestellt. Verkürzt gesagt: Die Anklage behauptet, die Offiziere hätten sich nach westdeutschem Strafrecht schuldig gemacht, weil sie die Verhaftung der Gesuchten in der alten Bundesrepublik hintertrieben hätten.
Berlins Generalstaatsanwalt Christoph Schaefgen vertritt die Auffassung, daß Taten von DDR- Bürgern dann verfolgbar sind, wenn der „Taterfolg“ in der Bundesrepublik eingetreten ist. Weil Kriminaler und Staatsanwälte durch die Einbürgerung der RAF- Terroristen in die DDR in ihrer Strafverfolgung behindert worden seien, sei der Taterfolg in Karlsruhe, dem Sitz der Strafverfolgungsbehörde, eingetreten. Ergo gelte das Strafrecht der alten BRD. Ursprünglich war gegen die jetzt Angeklagten auch wegen Beihilfe zum versuchten Mord, Sprengstoffdelikten und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ermittelt worden. Die Vorwürfe wurden fallengelassen, sie konnten nicht nachgewiesen werden.
Der verbliebene Vorwurf der Strafvereitelung ist aber auch in Hinblick auf westdeutsches Recht nicht unbedingt zu halten. Indizien sprechen dafür, daß westdeutsche Dienststellen und Politiker von der Einbürgerung der RAF-Aussteiger in die DDR wußten. Während des Prozesses – drei Verhandlungstage sind angesetzt – dürfte insbesondere die Frage eine Rolle spielen, ob nicht wenigstens Teile der westdeutschen Sicherheitsbehörden konkrete Kenntnis vom Ausstieg der acht RAFler hatten. George A. Carver, lange Jahre CIA-Missionschef und Geheimdienstkoordinator an der US-Botschaft in Bonn, sagte bereits im März 1992 in Washington zur taz, die CIA sei sich seinerzeit sicher gewesen, daß sich die Gesuchten in der DDR aufhielten. „Das war etwas, worüber wir uns so sicher waren, wie daß die Sonne am Morgen im Osten aufgeht.“ Die Indizien dafür seien „ziemlich deutlich gewesen“. Der US-Geheimdienst hätte gewußt, „daß das MfS den Terroristen das Reisen erleichterte, und wir wußten, daß die Terroristen zwischen Ost- und Westdeutschland hin- und herreisten. Wenn sie dann vom Radarschirm verschwanden und nirgendwo in Westdeutschland gefunden werden konnten, dachten wir, sie könnten sehr wohl im Osten leben.“ Konkrete Belege habe es dafür nicht gegeben, Carver betonte aber, daß die zahlreichen Hinweise ihm und den bundesdeutschen Behörden ausgereicht hätten, um zu diesem Schluß zu gelangen.
Carver wies weiter darauf hin, daß einige Mitglieder der damaligen sozialliberalen Koalition in Bonn die Möglichkeit einer MfS- RAF-Zusammenarbeit geleugnet hätten: aus ideologischen Gründen und um die Ostpolitik nicht zu gefährden. Aus den gleichen Motiven hätte es nach Carvers Einschätzung für die damalige Regierung auch Sinn gemacht, den Aufenthalt von RAF-Mitgliedern im Osten wissentlich zu ignorieren. Um den Erfolg der Ostpolitik nicht zu gefährden, habe man möglicherweise in Kauf genommen, daß sich ehemalige RAF-Leute im Osten zur Ruhe setzten.
Gestützt wird diese These auch durch Aussagen eines ehemaligen MfS-Offiziers, der in einem Fernsehmagazin behauptete, der Bundesnachrichtendienst und führende Politiker der westdeutschen Parteien seien über die Einbürgerung unterrichtet worden. Der Zeuge blieb allerdings anonym. Sollten sich diese Vorwürfe erhärten lassen, dann müßte entweder die Anklagebank erweitert oder aber das Verfahren wegen Strafvereitelung eingestellt werden.
Der Anwalt des Beschuldigten Jäckel nennt das Verfahren einen „absurden Prozeß“. Er vertritt die Auffassung, die Angeklagten hätten das Bundesverdienstkreuz verdient, schließlich hätten sie Terroristen aus dem Verkehr gezogen.
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