: Staatsfeinde lechts und rinks
■ Verfassungsschutzbericht sieht erneuten Anstieg des Rechtsextremismus. Innenminister Kanther hält dennoch die Linksradikalen für viel gefährlicher
Bonn (taz) – Gewaltbereite Rechtsextremisten in der Skinhead-Szene haben in Deutschland im letzten Jahr erneut an Zulauf gewonnen. Die Zahl der Straftaten im rechtsextremistischen Bereich ist dramatisch angestiegen und hat sich seit 1993 mehr als verdoppelt. Das geht aus dem Verfassungsschutzbericht 1996 hervor. Vor diesem Hintergrund überraschte die Einschätzung von Bundesinnenminister Manfred Kanther: Die Gewalttätigkeit im linksextremistischen Bereich habe „zugenommen im letzten Jahr“, faßte der Minister die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zusammen. Im rechtsextremen Spektrum habe sie dagegen „glücklicherweise abgenommen“.
Der Grund für diese Einschätzung: Zersägte Strommasten, durchgesägte Bahnschwellen und zerstörte Oberleitungen aus Protest gegen die Castor-Atomtransporte haben die Statistik im Bereich Linksextremismus nach oben schnellen lassen – 291 von insgesamt 654 Gewalttaten dieses Spektrums stehen damit in Zusammenhang. Rechtsextremisten dagegen verstießen häufiger durch Aktionen wie die Verbreitung von Propaganda oder Aufstachelung zum Rassenhaß gegen Gesetze als im Jahr zuvor, verübten seltener Brandanschläge oder Sachbeschädigungen.
Dennoch läßt sich die Bilanz, die Manfred Kanther aus dem Verfassungsschutzbericht zieht, wohl eher aus dessen Weltbild als aus den Fakten heraus erklären. Immerhin liegt die absolute Zahl registrierter rechtsextremistischer Gewalttaten mit 781 deutlich höher als die der Linken. Auch dem rechtsextremistischen Potential ordnen die Verfassungsschützer mit 45.300 Personen rund zehntausend Anhänger mehr zu als der linken Szene.
Die Lagebeurteilung des Innenministers sorgte denn auch bei Journalisten für Verwirrung. „Rechtsextremistische Straftaten um elf Prozent gestiegen“, titelte die Nachrichtenagentur AFP. Die dpa meldete dagegen: „Gewalttaten von Linksextremisten wieder gestiegen“, und die Agentur AP sah „derzeit keine Terrorgefahr von links oder rechts“. Eine Reihe von Übergriffen werden vom Verfassungsschutz überhaupt nicht als politische Taten eingestuft, ohne daß die Gründe dafür in dem Bericht erkennbar würden. So heißt es darin, „nur ein Teil der fremdenfeindlichen Straftaten“ habe einen rechtsextremistischen Hintergrund. Sie seien „vor allem auch Ausdruck einer militanten Abneigung gegen Asylbewerber sowie einer unbestimmten Angst vor ,Überfremdung‘“.
Die PDS wird vom Verfassungsschutz weiterhin als Partei beobachtet, die „nach wie vor ein zweideutiges Verhältnis zur Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung“ zeige. Kanther bezeichnete sie als „unappetitliche Fortsetzung der SED mit kaum vorhandener Unterscheidbarkeit“. Auf mehr als 57.000 ist im letzten Jahr die Zahl ausländischer Extremisten angestiegen. Die weitaus meisten von ihnen – mehr als 30.000 – gehören radikalen islamistischen Organisationen an. Kanther nannte ein „angenommenes Integrationsangebot“ den besten Schutz vor Islamismus. Bettina Gaus Tagesthema Seite 3
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