: Karlsruhe gegen fünf Ost-Kündigungen
Acht Ostdeutsche waren gegen ihre Kündigungen vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Gestern gab Karlsruhe fünf Klägern recht. Ex-Unirektor Heinrich Fink blieb erfolglos ■ Aus Karlsruhe Christian Rath
Die Bilanz kann sich sehen lassen. Fünf von acht Ostdeutschen, die gegen ihre Kündigung aus dem öffentlichen Dienst Verfassungsbeschwerde erhoben hatten, waren gestern beim Ersten Senat in Karlsruhe erfolgreich. Die drei übrigen Beschwerden wurden zurückgewiesen, darunter auch diejenige von Heinrich Fink, dem ehemaligen Rektor der Berliner Humboldt-Universität (HUB).
Soweit die Beschwerden Erfolg hatten, müssen die Arbeitsgerichte nun neu verhandeln. Nach dem gestrigen Urteil dürften die Betroffenen gute Chancen haben, ihren Arbeitsplatz zurückzubekommen. Auf die Situation anderer Ostdeutscher haben die Urteile nur Auswirkungen, wenn deren Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Nach Schätzungen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) dürfte dies bei etwa hundert Personen der Fall sein. Für alle anderen kommt nur eine politische Rehabilitation in Betracht. Die aus Ostdeutschland stammende GEW-Vorsitzende Eva-Maria Stange warnte aber vor allzu großen Hoffnungen.
Alle acht Ostdeutschen waren nach der Wende in den öffentlichen Dienst der Bundesrepublik übernommen worden: Vier waren Lehrer, zwei Hochschullehrer und zwei weitere einfache Arbeiter. Über ihre Arbeitsplätze konnten sie sich nicht lange freuen, denn die Kündigungen folgten bald. Allein in Sachsen wurden rund 5.700 Lehrer entlassen. In anderen Ländern und bei anderen Berufsgruppen wurde nicht so rabiat gesäubert. Gestützt war der Rausschmiß jeweils auf die „Sonderkündigungsregeln“ des deutsch-deutschen Einigungsvertrags (siehe Kasten). Diese Regeln wurden jetzt vom Verfassungsgericht als grundgesetzkonform bestätigt.
Falsche Auslegung des Einigungsvertrages
Erfolg hatten fünf der acht Kläger nur deshalb, weil die Landesarbeitsgerichte (LAG) von Sachsen, Thüringen und Berlin die Bestimmungen des Einigungsvertrags falsch ausgelegt hatten. Nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts hatten die Arbeitsrichter das Grundrecht der Kläger auf freie Berufswahl (Artikel 12 Grundgesetz) zu sehr vernachlässigt.
In der ersten Fallgruppe ging es um drei Lehrer, die früher Parteifunktionen innehatten. Ihnen war deshalb wegen „mangelnder“ persönlicher Eignung gekündigt worden. In zwei Fällen hob nun das Verfassungsgericht die Kündigung wieder auf. Die Arbeitsgerichte waren hier allzu schematisch nach dem Prinzip vorgegangen: „Ehemalige Funktionäre können als Lehrer nicht die Ideale glaubhaft vertreten, die sie zuvor bekämpft haben“. So hatten sie nicht berücksichtigt, daß eine der beiden Lehrerinnen Parteisekretärin an einer Sonderschule gewesen war.
An Sonderschulen aber hatte, nach Auffassung Karlsruhes, „die politische Kontrolle durch den Parteisekretär generell geringere Bedeutung“ als an anderen Schulen. Eine zweite Lehrerin hatte Erfolg, weil die Arbeitsgerichte ignoriert hatten, daß sie zu DDR-Zeiten von einem Schulrat ermahnt worden war. Dieser hatte ihre Forderung nach einem „freien Diskussionsklima“ gerügt. Von den Arbeitsgerichten war dies sogar zu ihren Ungunsten berücksichtigt worden. Sie habe sich „einen Maulkorb“ umhängen lassen, hieß es in jenem Urteil.
Leer ging dagegen ein dritter Lehrer aus. Bei ihm fand Karlsruhe, daß zu Recht von seiner früheren Parteifunktion auf fehlende Integrität in der heutigen Zeit geschlossen werden könne. Der SED-Genosse war schon mit 27 Jahren Parteisekretär und stellvertretender Schulleiter geworden. Eine zweite Fallgruppe mit ebenfalls drei Fällen befaßte sich mit falsch ausgefüllten Fragebögen, mit denen die übernommenen Ost- Staatsdiener nach früherer Partei- und Stasitätigkeit gefragt worden waren.
Wer beim Mogeln erwischt wurde, erhielt sofort die Kündigung. Doch auch hier waren die Arbeitsgerichte nach Karlsruher Auffassung zu schematisch vorgegangen. So war eine Lehrerin gekündigt worden, weil sie zwar nicht gelogen, aber ihre Stellung im Parteiapparat ungenau angegeben hatte. Erfolg hatten in dieser Fallgruppe auch zwei Arbeiter. Sie hatten in ihren Fragebögen zwar MfS-Kontakte unterschlagen. Diese Kontakte lagen jedoch schon so lange zurück, daß hier der Zeitfaktor viel stärker hätte berücksichtigt werden müssen. Der Senat stellte jetzt die Faustregel auf: Stasi-Kontakte, die vor 1970 abgeschlossen waren, müssen in derartigen Fragebögen nicht mehr erwähnt werden.
Gegen Finks Kündigung sei nichts einzuwenden
Erfolglos blieben dagegen die beiden Hochschullehrer. Beide arbeiteten an der Berliner Humboldt- Universität, der eine als Historiker, der andere, Heinrich Fink, als Theologe und nach der Wende als Rektor. Dem Historiker war „mangelnde fachliche Qualifikation“ vorgeworfen worden. Außer zwei mangelhaften Dissertationen habe er keine weiteren Publikationen vorzuweisen gehabt. Hiergegen hatte Karlsruhe nichts einzuwenden. In Rahmen dieses Falles akzeptierte Karlsruhe auch die Verlängerung der Sonderkündigungsregeln für ordentliche Kündigungen. Laut Einigungsvertrag wären diese Regeln am 3. 10. 1992 ausgelaufen. Sie wurden jedoch per Gesetz bis zum 31. 12. 1993 um fast 15 Monate verlängert. Auch dies wurde von Karlsruhe akzeptiert.
Der letzte Fall hatte am meisten Interesse gefunden. Fink bestreitet, jemals „inoffizieller Mitarbeiter“ (IM) der Stasi gewesen zu sein. Als Leiter der Sektion Theologie an der HUB habe er zwar zwangsläufig Kontakte mit der Stasi gehabt. Dabei sei er aber lediglich „abgeschöpft“ worden. Karlsruhe aber stellte die für Fink ungünstige Beweisaufnahme des Landesarbeitsgerichts Berlin nicht mehr in Frage. Im Mittelpunkt stand vielmehr die Frage, ob Fink trotz dieser Kontakte für die Humboldt-Uni „zumutbar“ geblieben war. Das LAG hatte hier vor allem auf Finks Stellung als Hochschullehrer und Rektor abgestellt. Wenn einer solchen Person Stasi- Zuarbeit nachgewiesen wurde, könne dies zu Ansehensverlusten der Universität führen. Das Verfassungsgericht fand diese Ausführungen zulässig (Az: 1 BvR 1243/95, 744/96, 2111/94, 2189/95, 1247/95,1934/93, 195/95, 1621/94).
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