: "Völliger Entzug bringt nix"
■ In der Kita "StoffBruch" werden Kinder ehemals suchtmittelabhängiger Eltern betreut. Nach dem Umzug in die "Platte" an der Mollstraße kämpft das engagierte Projekt ums Überleben.
„Pfannkuchen is eklig". Fabian (4) will das traditionelle Faschingsgebäck nicht essen. Zum Glück feiert Marie ihren sechsten Geburtstag, und da gibt es heute noch die ein oder andere Süßigkeitenalternative zu verdrücken. Aber auch an einem normalen Tag müßte Fabian oder eines der anderen acht Kinder nicht aufessen oder die Finger von den Süßigkeiten lassen. Die drei Erzieherinnen der Kita StoffBruch halten nichts von Zwängen und Verboten. Gerade bei diesem Projekt nicht.
Sie betreuen Kinder ehemals suchtmittelabhängiger Eltern zusammen mit anderen Kindern im Alter von zwei bis sieben Jahren. Ihr Motto lautet: Integration durch gezielte pädagogische Arbeit. Ein Ziel, das sich aufgrund der geringen Größe der Kindergruppe auch mit Aktivitäten wie Theaterspiel, kreativem Kinderturnen und Basteln verwirklichen läßt.
Die Grenzen beim Naschen zu finden, kann beispielsweise für die Söhne und Töchter von ehemals Drogenabhängigen schon eine besondere Schwierigkeit bedeuten. „Ein völliger Entzug bringt da gar nix!“ Deshalb hat die Erzieherin Karin Mencke auch die Bonbonbüchse auf das Regal gestellt, aus der jedes Kind sich nach Nachfrage bedienen darf. Seitdem ist das mit den Lollies und Kaubonbons kein Problem mehr.
Früher in der Dircksenstraße ansässig, arbeitet die seit 1992 bestehende Kita StoffBruch gemeinsam mit TherapeutInnen, PsychologInnen und dem Cafe Seidenfaden in einem therapeutischen Verbund für ehemals Suchtabhängige. In frühen Jahren oft vernachlässigt, mißhandelt, sexuell mißbraucht oder in Pflegefamilien abgegeben, bedürfen die Kinder alkohol- oder heroinabhängiger Eltern besonderer Fürsorge.
So kümmern sich etwa zusätzlich zu den Erzieherinnen ein Bewegungstherapeut und eine Sprecherzieherin um die 5-jährige Christin. Wie das Beispiel von Fabian (Name von der Redaktion geändert) zeigt, ist StoffBruch mit diesem Konzept erfolgreich. Der Sohn einer ehemals Heroinsüchtigen besucht inzwischen ohne Probleme die Vorschule in Friedrichshain. Seine Mutter arbeitet mittlerweile in ihrem alten Beruf als Zahntechnikerin.
Im Rahmen der jüngsten Sparmaßnahmen des Senats wurde im Juni 97 die Miete am Hackeschen Markt für die Kita StoffBruch zu teuer. Das Projekt, das in Berlin seinesgleichen sucht, wäre aufgelöst worden, wenn die Kita Fröbel e.V. nicht rettend eingesprungen wäre.
So kommt es, daß die Kinder von StoffBruch ihr „Happy Birthday“ für Marie heute in den Räumlichkeiten in der Mollstraße singen, die Fröbel ihnen zur Verfügung gestellt hat. Mit in das Plattenbaugebiet umgezogen ist zwar das große Hochbett der Gruppe, aber nicht alle Kinder. Am Hackeschen Markt kamen Sprößlinge von Eltern aus dem künstlerischen und alternativen Bereich in die Kita. Für diese ist die neue Adresse teilweise zu weit, oder sie hegen trotz des großen Spielplatzes Mißtrauen gegen den Plattenbau. Dagegen wohnen in der neuen Umgebung nicht die Eltern, die ihre Kinder in ein solches Sonderprojekt bringen. Die Mütter und Väter der StoffBruch-Kinder „sehen eben anders aus". Teilweise trügen sie Ringe in der Nase, Tätowierungen oder geschorene Haare. Dagegen hätten die AnwohnerInnen Vorbehalte, vermutet die Erzieherin Petra Kamp.
Für die Entwicklung der Kinder des Projekts sei es aber von größter Wichtigkeit, daß sie gemeinsam mit anderen Kindern aufwachsen. Nicht nur deshalb sucht die Kita nach Nachwuchs. Zum neuen Schuljahr 98 verlassen vier Kinder die Gruppe. Damit ist der Bestand der Kita erneut gefährdet. Kirsten Küppers
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