: Er war seiner Zeit immer auf den Fersen
In seinem 1925 veröffentlichten Roman „Berlin ohne Juden“ nahm Artur Landsberger den Holocaust literarisch vorweg. Jahrzehnte war der Roman verschollen. Heute – nach über 70 Jahren – ist „Berlin ohne Juden“ wieder neu aufgelegt worden ■ Von Walter Delabar
Am 4. Oktober 1933 erschoß sich der Schriftsteller und Rechtsanwalt Artur Landsberger in seiner Berliner Wohnung. Ihn hatte eine Geschichte wieder eingeholt, die er acht Jahre zuvor seinem „armen Vaterland“ zur gefälligen Warnung gewidmet hatte: die Geschichte vom totalen Sieg des Antisemitismus.
Was als Satire und „Abstieg in die völkischen Niederungen“ zugleich hatte verstanden werden sollen, war nach langem und absehbarem Vorlauf nun doch unversehens bittere Wirklichkeit geworden. Die Nationalsozialisten an der Macht mit dem ausgeprägten Wunsch, die Juden aus Stadt und Land zu jagen. Für einen „dekadenten Asphaltliteraten jüdischer Herkunft“ – ein Ehrentitel, wie man heute weiß –, der genau diesen Fall in einem entschieden erfolglosen Roman als Katastrophe geschildert hatte, kein Ort, um noch zu bleiben.
Mit seinem Tod hat Artur Landsberger freilich nicht nur die höchst persönliche Konsequenz aus der verhängnisvollen politischen Talfahrt der Weimarer Republik gezogen. Er verschwand zugleich aus dem kollektiven Gedächtnis und damit aus der deutschen Literaturgeschichte. Von seinen zahlreichen Romanen, die er bis 1933 publiziert hat, ist nach dem Krieg kein einziger wiederentdeckt und neu gedruckt worden. Es sind keine Erben bekannt, seine Bücher sind selbst im Antiquariat nicht präsent. Es existiert bis heute nicht einmal eine seriöse Studie über Autor und Werk. Nur ein Eintrag in der Deutschen Biographie zeugt von seiner Existenz. Artur Landsberger war und ist verschollen. Das verblüfft ob der Erfolge, die Landsberger seinerzeit mit seinen Romanen hatte, die schnell geschrieben und der Zeit immer auf den Fersen waren.
Dem 1876 in Berlin geborenen Kaufmannssohn gelang im Jahre 1911 gleich der erste Skandal. Sein erster Roman „Wie Hilde Simon mit Gott und dem Teufel kämpfte“ war eine geschickt gestrickte Schlüsselgeschichte um die Kaufhaus-Familie Wertheim, zu der seine erste Frau gehörte. Als besondere Beigabe fügte Landsberger dem Ganzen noch eine deftig geschilderte Satansmesse bei, die dem Roman wohl seine mehr als 20 Auflagen gesichert hat.
Landsberger ist bei dem einmal erprobten Rezept geblieben. Auch seine späteren Romane sind eher Skizzen des beständigen Umbruchs, in dem sich seine Epoche befand, als wert- und zeitbeständige Werke.
Wahrhaftig keiner der ganz Großen seines Fachs, hat Landsberger dennoch ein einziges außergewöhnliches Buch geschrieben, den 1925 bei Paul Steegmann in Hannover erschienenen Roman „Berlin ohne Juden“. Die Idee zum Roman hat ihm ein Buch des Österreichers Hugo Bettauer geliefert, das einen sehr ähnlichen Titel trägt: „Die Stadt ohne Juden“. Auch Bettauer war ein Opfer der nationalistischen Rechten, wurde er doch kurz vor Erscheinen von Landsbergers Roman von einem von der nationalen Presse aufgehetzten Zahntechnikergehilfen ermordet. Eine Bettauer Gesamtausgabe (1980) und die Neuauflage von „Die Stadt ohne Juden“ (1996) belegen das Interesse, das seine Landsleute nicht nur deswegen bis heute noch für ihn hegen. Erst Landsberger aber machte aus der „Reihe harmloser Feuilletons“, wie er Bettauers Roman nennt, den echten Roman, der auf Wirkung getrimmt ist. Und die kann ihm wenigstens heute gewiß sein. Denn der Roman nimmt einfach den Antisemitismus ernst. Handstreichartig gewinnt eine neugegründete nationale und sozialistische Partei die Macht und wirft alle Juden aus dem Land. Kein Protest hilft, jetzt wird nicht mehr palavert, sondern gehandelt. Die Folge: Wirtschaft, Finanzen, Verkehr, Kultur – nichts funktioniert mehr ohne Juden. Das Ausland boykottiert zudem den judenfreien deutschen Staat. Das Ganze hält entsprechend nicht lange. Die Juden kehren zurück, und langsam erholt sich das Land wieder.
Vieles von dem, was Landsberger hier erzählt, kommt einem bekannt vor. Und es gehört zu dem Beeindruckendsten an dem Buch überhaupt, wie viele der Details der Geschichte nach 1933 Landsberger offenbar aus seiner Gegenwart hat vorausahnen können. Das gelingt ihm unter anderem auch deswegen, weil er die Frechheit besitzt, Zeitgenossen wie Henry Ford oder eine Zeitung wie den Völkischen Beobachter in den Romankosmos zu übernehmen.
In einem wichtigen Punkt hingegen hat er nicht recht behalten: Die Nazis hatten seit dem Erscheinen seines Romans mehr und besser gelernt als seine Roman-Antisemiten. Der Exodus der Juden und Linken nach 1933 ließ weder Wirtschaft noch Kulturbetrieb zusammenbrechen. Ganz im Gegenteil, die Nazis verschafften sich internationale Anerkennung, weil sie einen völlig neuen und vor allem effektiven Weg beschritten hatten, mit den Problemen ihrer Zeit fertigzuwerden. Auch was das angeht, hat sich Landsberger wohl zu sehr von der antisemitischen Propaganda herüberziehen lassen: Die vorgebliche jüdische Internationale hat nach 1933 keineswegs jene Solidarität und Durchschlagskraft besessen, die ihr Landsberger in seinem Roman noch zutraut. Diesen Irrtum einsehen zu müssen, hat ihn vielleicht am Ende den Freitod wählen lassen.
Artur Landsberger: „Berlin ohne Juden“. Hrsg. und mit einem Nachwort von Werner Fuld. Weidle Verlag, Bonn 1998, 218 Seiten, 38 DM
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