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„Hinter den Morden steckt die ganze Regierung“

■ Der Schriftsteller Faradsch Sarkuhi, einer der bekanntesten iranischen Dissidenten, über die Häufung von Mordanschlägen, ihre Urheberschaft und über den Anfang vom Ende der Islamischen Regierung

taz: Was haben Sie gedacht, als Sie von Pujandehs Tod erfuhren?

Faradsch Sarkuhi: Ich habe es erwartet. In den letzten Wochen waren bereits zwei meiner Kollegen gestorben. Wir mußten jede Minute mit der Nachricht von Pujandehs Tod rechnen. Als ich es dann gehört habe, wollte ich es trotzdem nicht glauben.

Wer steckt hinter den Morden?

Die Regierung. Nicht nur ein Flügel, sondern die gesamte Regierung. Auch in meinem Fall hieß es, ich würde von einem Flügel des Machtapparats festgehalten. Der damalige Präsident Rafsandschani wollte so sein Gesicht wahren. Aber ich weiß, daß das für die Sicherheitspolizei zuständige Informationsministerium direkt hinter solchen Angelegenheiten steckt. In Iran gibt es einen Nationalen Sicherheitsrat. Darin sind der Religiöse Führer vertreten, der Parlamentspräsident, der Außenminister, der Chef der Revolutionsgarden, der Informationsminister und der Staatspräsident. Dieser Rat entscheidet über strategische Dinge. Sie beschließen, daß es an der Zeit ist, jemanden zu ermorden, um andere einzuschüchtern. Auch Chatami will nur eine eingeschränkte Demokratie. Sie sprechen immer von der roten Linie. Wenn Menschen diese Linie überschreiten, werden sie ermordet.

Heißt das, Chatami wußte, daß die Morde geschehen würden?

In meinem Fall wußte der damalige Präsident Rafsandschani vorher Bescheid. Er hat in einem Interview als erster behauptet, ich sei in den Niederlanden und in Deutschland. Damals glaubten viele, Rafsandschani mache einen Fehler. Aber einen Monat später wurden gefälschte Akten präsentiert, wonach ich tatsächlich dort sein sollte. Rafsandschani wußte also von der ganzen Inszenierung. Deshalb glaube ich, daß auch bei den jetzigen Morden der Präsident involviert ist. Der Grund dafür ist, daß Chatami Angst hat. Zuerst wollte er ein paar Reformen machen. Die Situation hat sich daraufhin ein wenig verbessert, die Einschränkungen der Redefreiheit wurden gelockert. Aber dann haben die Leuten die Möglichkeit, ihren Mund aufzumachen, auch wahrgenommen. Sie machten deutlich, daß sie keine Einschränkungen mehr akzeptieren. Das gefährdet Chatamis Macht. Der Iran steckt in einer großen wirtschaftlichen Krise, die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, die Leute sind unzufrieden. Die Fundamentalisten und Chatami haben Angst vor den Menschen. Sie fürchten, daß wenn die Leute weitermachen, die Regierung stürzt. Deswegen wollen sie die Menschen einschüchtern.

Nach welchen Kriterien wurden die letzten Opfer ausgesucht?

Mohtari und Pujandeh waren sehr aktiv. Sie wollten einen iranischen Schriftstellerverband gründen und sie kritisierten die Zensur. Vor etwa fünf Monaten haben Schriftsteller eine neue Charta verabschiedet. Dann haben sie sechs Personen ausgewählt, die eine Vollversammlung der Schriftsteller organisieren wollten. Zu diesem Kreis gehörten Mohtari und Pujandeh. Sie alle wurden vor ein Revolutionsgericht zitiert, wo man ihnen ganz offen erklärte, es sei ihnen verboten, eine Organisation zu gründen. Im Iran sind solche Organisationen noch immer illegal.

Aber warum diese Häufung von Morden im letzten Monat?

Die Entwicklung hat bereits früher eingesetzt. Vor fünf Monaten begann die Regierung, neugegründete Zeitungen zu schließen. Etliche Journalisten wurden verhaftet, darunter sogar Anhänger Chatamis. Dann wurden Ende November Dariusch Foruhar und seine Frau ermordet. Ich glaube, daß sich die Situation auf einen politischen Wendepunkt zu bewegt. Die Leute haben seit Chatamis Amtsantritt Schritt für Schritt ihren Respekt vor der Regierung und vor dem Religiösen Führer verloren. Wir befinden uns am Anfang des Endes der Islamischen Regierung.

Erwarten Sie eine Revolution?

Das hängt von der Bevölkerung ab. Viele glauben nicht mehr, daß Chatami etwas erreichen kann, daß er überhaupt etwas erreichen will. Die Leute wollen mehr, als Chatami will oder kann. Wenn sich die Menschen nun enttäuscht in ihre Wohnungen zurückziehen, dann können die Fundamentalisten noch ein oder zwei Jahre so weitermachen. Oder aber die Leute schauen sich nach Alternativen um. Ich glaube, das ist einer der Gründe für die Ermordung von Schriftstellern. Sie werden ermordet, damit die Bevölkerung keine Alternative zu den gegenwärtigen Machthabern hat.

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