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Kresniks Block

Kraus: Ein Bremer Nazibunker dient Johann Kresnik als Spielstätte für „Die letzten Tage der Menschheit“  ■   Von Christoph Köster

Auf den alten Fotos scheint auf der mörderischen Baustelle immer die Sonne. Doch jetzt regnet es kalt. Der Autokonvoi mit den Probenbesuchern fährt eine Straße entlang, die noch heute Lagerstraße heißt. Und als er dann abbiegt in das dörfliche Wohngebiet mit den Kneipen, den schmucken Einfamilienhäusern und den gepflegten Vorgärten, taucht das Monstrum schemenhaft aus dem Dunst auf. Fast 500 Meter lang, bis zu 100 Meter breit und rund 25 Meter hoch ist dieses kaum zerstörbare Relikt des Nazi-Größenwahns mit Namen Bunker „Valentin“.

Das Bremer Theater und der Choreograph und Regisseur Johann Kresnik wollen und werden jetzt ein Schauspielhaus aus der nie ganz fertiggestellten U-Boot-Fabrik im äußersten Bremer Norden machen. Zur Jahrtausendwende geben sie im Weltkrieg-II-Denkmal die Weltkrieg-I-Apokalypse „Die letzten Tagen der Menschheit“ von Karl Kraus.

Für viele in Bremen war der Bunker lange Zeit „der Valentin“. Der zwischen 1943 und 1945 von Zwangsarbeitern erbaute Bunker, aus dem einmal jeden zweiten Tag ein U-Boot für den Endsieg auslaufen sollte, galt fast als verlorener Sohn. Die Lokalpresse bezeichnete den Betonklotz, an dessen Bau Zehntausende von Zwangsarbeitern beteiligt waren und mindestens 4.000 verreckten, nach dem Zweiten Weltkrieg als „achtes Weltwunder“. Beteiligte Firmen wie der Bremer Vulkan oder Mannesmann Demag verweigerten noch in den 80ern jede Auskunft zum Thema. Und zur selben Zeit gab sich das Bremer Katasteramt noch jede Mühe, den Bunker aus Karten verschwinden zu lassen und aus Luftbildern herauszuretuschieren.

Doch der Klotz steht nun mal da am Weserufer im Bremer Ortsteil Farge-Rekum. Wenn man ihn erkundet, sieht man Bäume auf seinem Dach und Moos, einzelne Sträucher und Stalaktiten in seinem dunklen Inneren wachsen. In einer verbotenen Zone lehnt eine verrostete Schaufel an einer Industrielampe. Wasser tropft von der Decke.

Ein Bombeneinschlag der Royal Air Force hat wie zum Gedenken an die Toten ein acht Meter langes, in den Bunker herunterhängendes Gerippe aus Stahl und Beton geschaffen. Und keiner weiß, wie viele Leichen sich in den bis zu sieben Meter dicken Wänden und Fundamenten verbergen.

„Ich fühle mich hier wie ein KZ-Häftling“, sagt der 59jährige Johann Kresnik. Die Berliner Mahnmalsdebatte könne man vergessen, denn: „Dies hier ist ein Denkmal, das unglaublich ist.“ Wenig später, nach der Probenpause, beginnt Kresnik wieder zu brüllen, weil dieses über 300 Meter lange Teilstückchen Bunker „Valentin“, das Theaterspielstätte werden soll, jeden Ton schluckt. Außerdem ist das 18köpfige Ensemble nicht dramatisch genug von der Lkw-Ladefläche gesprungen. „Sooo muß das gehen“, schreit Kresnik und gestikuliert erläuternd. Ohnehin: der Lkw, Fabrikat Grube Werdau. Oder der Panzer vom benachbarten Bundeswehr-Übungsgelände, der gestern beim Hineinrollen noch so bedrohlich und groß aussah. Wie Spielzeug wirken Requisiten in dieser kathedralenhaften Bunkerhalle. Und auch die Schauspieler brüllen sich die Seele aus dem Leib. Wie soll man hier Theater spielen?

„Man muß große Bildwelten finden“, sagt Joachim Lux, der Dramaturg. Intendant Klaus Pierwoß benutzt das Wort „Prozessionstheater“ für diese Inszenierung der – freilich stark gekürzten – Kraus-Apokalypse. Mit einem Schiff werden die jeweils 350 Besucher einer Aufführung aus der Bremer Stadtmitte an die knapp 30 Flußkilometer entfernte Spielstätte transportiert. Im Bunker selbst, dessen Innentemperatur auch im Hochsommer kaum über Kühlschrankniveau steigt, werden sie von Station zu Station wandern. Handwerker verlegen gerade eine Bretterfläche, damit sie nicht in die Schächte fallen. Und ein Foyer für eine Wolldeckenausgabe bauen sie auch.

Über die Kosten spricht keiner. Doch die sprengen die normalen Verhältnisse des Bremer Theaters, das von einem Ausstattungsetat von 850.000 Mark mehr als zwei Dutzend Inszenierungen im Jahr finanziert. Wie ein Löwe soll Intendant Klaus Pierwoß für das Projekt gekämpft haben. Er wollte Kresnik wieder verpflichten. Doch dieser, der in zwei Phasen insgesamt 16 Jahre lang Bremer Tanztheaterchef war, hatte keine Lust mehr auf Guckkastentheater. Also brechen „Die letzten Tage der Menschheit“ am 3. Juni im Bunker „Valentin“ an. Der Bonner Regierungswechsel und der zum Kriegsminister gewordene Rudolf Scharping machten es möglich. Von der Hardthöhe, deren Marine einen wohl knapp 200 Meter kleinen Teil des Bunkers als Depot nutzt, kam vor ein paar Wochen die Genehmigung.

Mit Skepsis blicken die Angestellten aus dem Depot durch das blaue Stahltor in den Bunkerteil herüber, in dem Kresnik probt. Für die Will-Quadflieg-Lesung vor zwei Jahren hatten sie Verständnis. Aber jetzt nörgeln sie: „Hier im Stadtteil werden Bibliotheken und Schwimmbäder geschlossen, doch für so etwas Elitäres ist Geld da.“ Mit wütenden Briefen in den Lokalzeitungen werden Kresnik und Pierwoß rechnen müssen. Doch nach geplanten 40 Aufführungen in diesem und im nächsten Jahr werden 14.000 Menschen vom Bunker „Valentin“ erzählen. Und die meisten von ihnen werden nicht gewußt haben, daß es so was wie diesen Ort gibt.

Premiere am 3. Juni. Karten und Infos unter (04 21) 36 53 33, Eintritt 60 Mark, ermäßigt 40, inklusive Schiffstransfer

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