: Der Bund macht sich zu breit
■ Staat in der Stadt: Das Stadtforum diskutierte über die Rolle Berlins als Regierungssitz. Kritiker warnen vor noch mehr Hauptstadt. Thierse: Bund ist nicht stadtfeindlich
Es gehört zu den Glücksfällen stadträumlicher Entwicklung, daß der Bund und das Land bei der Ansiedlung von Regierungsgebäuden im wesentlichen an einem Strang gezogen haben. Stadt und Staat saßen gemeinsam am Tisch bei der Entwicklung des Parlamentsviertels. Die Unterbringung der Ministerien in verschiedene dezentral verteilte Altbauten geht auf eine Initiative Berlins zurück. Und selbst die Planung der Neubauten für die Wohnquartiere der Bundesbeamten entstand im Konsens.
Daß die Rolle der Stadt unter den Bedingungen eines Regierungssitzes dennoch ins Hintertreffen gerät, ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen: Sicherheitszonen, Absperrungen, Parlamentsghettos oder soziale Segregation heißen die üblichen Verdächtigen. Hinzu kommt, und dies war am Wochenende Thema der 76. Sitzung des Stadtforums („Stadt und Staat“), daß der Bund bei einer großen Zahl noch nicht genutzter Flächen das Land bei der Planung außen vor läßt. Deren Bebauung allein mit Regierungsfunktionen, fürchtet deshalb Max Welch Guerra, Politologe an der TU, würde sich „stadtfeindlich“ auswirken.
So hänge „wie ein Damoklesschwert über der Stadt“ was aus den Flächen im nördlichen Spreebogen werde. Ebenfalls frei halte sich der Bund große Grundstücke an der Wilhelmstraße und an der Leipziger Straße, ebenso an der Invalidenstraße und auf den Brachen rings um den Bundesrat sowie des Finanzministeriums. Offen sei zudem die Zukunft des Schloßplatzes und der Flächen hinter dem Staatsrat. „Die Streuung der Ministerien“, so Guerra, „bedeutet einen stadträumlichen Vorteil für Berlin“. Der könnte verspielt werden, „wenn der Bund sich auf diesen Flächen konzentriert“.
Zeichen, daß der Bund die Konsenslinie mit dem Land verläßt, sieht Guerra jetzt schon. Die Straße am Außenministerium am Werderschen Markt sei heute schon nicht mehr öffentlich, auch der Schloßpark Bellevue wäre geschlossen. Zugleich gebe es Pläne, im Parlamentsviertel und am Kanzleramt Straßen und Wege zu schließen. „Wir brauchen einen Sicherheitspakt mit dem Bund für den Tiergarten und gegen die Verdrängung der Stadt von weiteren Flächen“, so Guerra.
Unterstützung erhielt der Politologe von dem Architekten Hildebrand Machleit. Wenn etwa die Überlegungen umgesetzt würden, so Machleit, alle in Bonn verbleibenden Ministerien und ihre 11.000 Mitarbeiter nach Berlin überzusiedeln, „besteht die Gefahr einer Monofunktionalität mitten im Stadtgebiet“. Stadt und Staat sollten sich genau überlegen, wo zukünftige Verwaltungen plaziert werden sollten, um die Urbanität nicht weiter zu beschädigen.
Im Gegensatz zu Guerra und Machleit fürchtet Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) neue Pläne des Bundes nicht. Ein Ministerium, so Strieder, füge sich heute ebenso in den Organismus der Stadt ein wie ein großes Geschäftshaus. „Da ist doch abends auch tote Hose“, quittierte dies ein Besucher im Publikum. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse nahm den Gegensätzen die Schärfe. Die Vitalität der Stadt sei größer als die Gegenwart der „politischen Klasse“. Und selbst diese zöge es nicht in Regierungsghettos, „sondern an den Prenzlauer Berg“. Rolf Lautenschläger
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