: GeSchlächterordnung
Das Militär ist eine Art Machtmaschine, die nur über den aggressiven Ausschluss der Andersartigen, also von Frauen, Homosexuellen, Schwarzen oder Juden, funktioniert. Die Nation ist weiblich definiert, der Volkskörper mithin durch Massenvergewaltigungen verletzbar. Kriegsheimkehrer werden feminisiert und so zum Opfer gewandelt. Thesen auf einem militärhistorischen Kolloquium in Berlin. Ein Bericht von Ute Scheub
Nach wie vor droht Bundeswehroffizieren, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen, die Zwangsversetzung in Schreibstuben. Als schwul geoutete Vorgesetzte verlören das Vertrauen ihrer Untergebenen und würden nicht mehr ernst genommen, behauptet Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD). Das Argument eines Ewiggestrigen, finden nach einer Forsa-Umfrage mehr als drei Viertel von 1.001 Befragten. 77 Prozent befürworten den Dienst von Homosexuellen in der Armee.
Anscheinend aber funktioniert weder die Bundeswehr noch irgendeine andere Armee der Welt ohne den sexistisch oder rassistisch begründeten Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen. Das zumindest legen die Debatten und Vorträge auf dem internationalen Colloqium „Geschlechter-Kriege“ nahe, bei dem rund 120 MilitärhistorikerInnen am letzten Wochenende in Berlin diskutierten.
Aus der Tatsache, dass Frauen trotz internationaler Gleichstellungstendenzen immer noch aus den meisten Armeen herausgehalten werden, zog Ruth Seifert von der Fachhochschule Regensburg den Schluss, dass die Institution Militär die Geschlechterdifferenz keineswegs nur widerspiegelt, sondern maßgeblich selbst herstellt. Hier werde Gewaltanwendung als männliches Privileg produziert und reproduziert, selbst in jenen Ländern, in denen Frauen ins Militär aufgenommen würden: Im Zweiten Weltkrieg durften britische Soldatinnen den Hebel zum Kanonenabfeuern nicht betätigen; in Israel müssen Frauen in Uniform an der libanesischen Grenze umkehren; in Deutschland ist das weibliche Waffentragen per Grundgesetz verboten. Tötende Frauen – ein uraltes Tabu.
Ruth Seifert verwies auch auf die historische Verknüpfung von Militärdienst und Staatsbürgerrechten. Den waffenlosen Frauen in Europa wurden die Bürgerrechte lange ebenso verwehrt wie den Schwarzen in den USA, im amerikanischen Bürgerkrieg durften sie erst nach langer Debatte ein eigenes Bataillon bilden. Auch Juden oder andere stigmatisierte Bevölkerungsgruppen wurden in verschiedenen Ländern und Zeiten von Waffendiensten und Bürgerrechten ausgeschlossen. Es scheint, eine Armee kann sich nur so lange mächtig fühlen, solange es Ohnmächtige gibt. Die Endlosproduktion einer aggressiven Hierarchie ist das Geheimnis ihrer Machterhaltung.
Der engen Verzahnung von Nation, Geschlecht und Rassen widmete sich auch Christian Koller von der Universität Zürich. Er untersuchte die Reaktionen auf die Präsenz nichtweißer Soldaten aus den französischen Kolonien im Ersten Weltkrieg und im französisch besetzten Rheinland. Die Vorstellung, schwarze „blutrünstige Wilde“ würden sich mit gewaltiger Potenz und „viehischen Lüsten“ über weiße deutsche Frauen hermachen, war in Deutschland offenbar eine gängige Massenfantasie in Politiker- und Journalistenhirnen. Die Rechtsopposition delirierte von „Raubtieren“ und „schwarzen Bestien“, die sich mit Vergewaltigungen nicht zufrieden gaben, sondern auch Homosexualität, „Sodomie“ und „Vampirismus“ pflegten. Aber selbst weibliche SPD-Reichstagsabgeordnete wie Elisabeth Röhl sprachen von der „Entwürdigung der deutschen Frauen, wenn in den deutschen Ländern am Rhein ein buntes Völkergemisch als Besatzungstruppe Verwendung findet“ (1920).
Auch linke Parteien waren und sind keineswegs frei von jenen fatalen Fantasien, dass Frauen „Grenzhüterinnen“ seien, wie Ruth Seifert es ausdrückte, und dass der weibliche Körper die Nation symbolisiere – man denke nur an die US-Freiheitsstatue oder die französische Marianne. Die eingebildete oder reale Vergewaltigung von Frauen der eigenen Ethnie gilt somit als Entehrung des gesamten „Volkskörpers“ – was umgekehrt die Beliebtheit der Massenvergewaltigung als Kriegsstrategie erklärt, siehe Ex-Jugoslawien oder Ruanda.
Birgit Beck von der Universität Bern stellte in ihrer noch nicht abgeschlossenen Dissertation die diffizile Frage, ob Letzteres auch für die deutsche Wehrmacht gegolten habe. Wegen der schwierigen Quellenlage – wer ruft schon offen zur Vergewaltigung auf, wer bekennt sich in Feldpostbriefen schon offen zu seinenVerbrechen? – nahm sie sich als „noch ergiebigste Quelle“ die Urteile von Militärrichtern gegenüber Soldaten vor, die sich sogenannter „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ schuldig gemacht hatten. Ihr vorläufiger Befund: Für Vergewaltigungen an Polinnen oder Russinnen wurden deutsche Soldaten wesentlich milder bestraft als für Vergewaltigungen an Französinnen. Im Falle eines russischen Opfers führten die Richter aus, die Frau gehöre doch bloß einem Volk an, in dem „der Begriff der Geschlechtsehre nahezu völlig verschwunden sei“.
Gerichtsakten allein, das gab auch die Referentin zu, geben jedoch nur über einen sehr kleinen Teil der verübten Taten Auskunft. Weder kann dadurch ihr tatsächliches Ausmaß geschätzt noch die Frage beantwortet werden, ob Massenvergewaltigungen stattfanden. Fest steht nur: Es gab zahlreiche Wehrmachtsbordelle mit Zwangsprostituierten, nach Birgit Becks Zählung rund 500 bis 1942, und erzwungene Prostitution ist selbstredend auch sexuelle Gewalt.
Was aber geschah mit diesen und anderen Erinnerungen an den deutschen Vernichtungskrieg im Osten? Frank Biess von der Rutgers University widmete sich der Frage, wie mit den Kriegsgefangenen, die aus der Sowjetunion zurückkehrten, in Ost- und Westdeutschland umgegangen wurde. Westliche Mediziner und Wohlfahrtsarbeiter sahen die ehemaligen Soldaten offenbar ausschließlich als Opfer: Die so genannte „Heimkehrerkrankheit“ sei ein Produkt der physischen und psychischen Folgen des Hungers in den sowjetischen Lagern. Die Identität und die Sexualität der Patienten seien zerstört, ihr Wesen und ihr Gesichtsausdruck seien „russisch“ geworden, sie legten eine „eunuchoide Bedürfnislosigkeit“ an den Tag und hätten manchmal „Ansätze einer weiblichen Brust“ oder „Schamhaare des weiblichen Typs“.
Diese Entnationalisierung und Entsexualisierung von ehemals hypermaskulinisierten Frontsoldaten erfüllte laut Frank Biess eine wichtige symbolische Funktion im westlichen Nachkriegsdeutschland, denn nur so konnten Wehrmachtstäter mit KZ-Opfern gleichgesetzt und die „Rhetorik der Viktimisierung“ in Gang gehalten werden.
In Ostdeutschland hingegen geriet die KPD/SED-Führung 1945 geradezu in Panik im Gedanken an die bevorstehende Rückkehr von „einer Million Antibolschewisten“, die weiterhin für „nazistische Einflüsterungen“ anfällig seien. Doch dann organisierte sie parallel zur Gründung der DDR 1949 eine ganze Serie von „Heimkehrerkonferenzen“, auf denen ehemalige Gefangene von ihrer politischen Läuterung zu antifaschistischen Kämpfern berichteten.
Diese Art von oberflächlicher Dekontaminierung in West wie Ost hatte zur Folge, dass die Konflikte in den Familien verschüttet wurden. Dort wurde geschwiegen, dort blieben Beteiligungen an Naziverbrechen verdeckt. Erst mit den Generationskonflikten der Fünfziger- und vor allem der Sechzigerjahre, so der Referent, wurden sie – zumindest im Westen – rethematisiert.
Trotz aller Unterschiedlichkeit zielten nach Frank Biess beide Länder auf die symbolische „Remaskulinisierung“ der Gesellschaft. Im Westen interpretierten die Kirchen die Leiden der Gefangenen als Voraussetzung für Bekehrung, die Heimkehrer erschienen als „moderne Christusfiguren“, die „religiöse Läuterung mit strengem Antibolschewismus verbanden“. Im Osten hingegen wurde ihre Läuterung als Verwandlung zu antifaschistischen Parteisoldaten zelebriert.
Die seit dem frühen 19. Jahrhundert „fest etablierte Verbindung von Männlichkeit und Nation“, befand der Historiker, habe sich damals jedoch nachhaltig und bis heute spürbar gelockert: „Die Transformation der Heimkehrer in ideale ost- und westdeutsche Staatsbürger vollzog sich nicht in der Sprache der Nation, sondern in den universaleren Sprachen des Christentums und des Antifaschismus.“ Allerdings, schränkte er ein, seien im ostdeutschen Männlichkeitsideal des „Kämpfers für den Frieden“ alte preußische Traditionen noch stärker spürbar gewesen als im Westen.
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