: „Auf alles kann man keine Maske packen“
Krebs ist eine Krankheit, die psychische Probleme nach sich zieht. Bianca Senf, Psychologin und Psychotherapeutin bei der Deutschen Krebsgesellschaft in Frankfurt/Main, zu der Frage, welche Rolle hierbei das Aussehen des Patienten spielt.
taz: Fehlende Haare, Wasseransammlungen – sind das die Gründe für ein gebrochenes Selbstbewusstsein bei Krebspatienten?
Bianca Senf: Nein, da kommt zunächst einmal der schwere Schock nach der Diagnose Krebs, der bei manchen Wochen andauern kann.
Was genau löst diesen Schock aus?
Angst vorm Sterben, Angst vor Schmerzen, Angst vor der Behandlung. Hinzu kommen Selbstvorwürfe, oft sogar selbstschädigendes Verhalten wie Überanstrengung oder Alkoholmissbrauch – man will die Krankheit einfach nicht wahrhaben. Erst dann kommt das veränderte Aussehen nach einer Chemotherapie als Problem.
Ist diese Reaktion bei den unterschiedlichen Krankheitsbildern immer gleich?
Zunächst einmal ziehen Krebserkrankungen, die die Sexualität betreffen, häufig eine hohe Kränkung des Selbstwertgefühls nach sich – etwa Prostatakrebs bei Männern oder Brustkrebs bei Frauen. Wenn einer Frau eine Brust entfernt wird, dann bedeutet das ja auch eine sichtbare Beschädigung des Körpers, der äußeren Erscheinung.
Was passiert, wenn das äußere Erscheinungsbild des Patienten sich verändert?
Behandlungsfolgen wie ausgehende Haare, Wasseransammlungen, trockene Haut stören das Selbstwertgefühl und sorgen häufig dafür, dass sich die Betroffenen zurückziehen, Kontakte meiden.
Haben Frauen damit mehr Probleme als Männer?
Teil, teils. Unter einer Glatze leiden Frauen sicher mehr – bei Männern ist ein kahler Kopf akzeptierter, bekannter. Aber auch Männer leiden natürlich darunter, wenn ihr Gegenüber – instinktiv übrigens – auf Grund der veränderten Gesichtszüge, der fehlenden Wimpern und Brauen, auf Distanz geht. Männer haben also die gleichen Probleme, die Mehrzahl würde nur nicht einen Schminkkurs besuchen und das Problem so offensiv angehen wie Frauen.
Bringen diese Schminkkurse denn etwas?
Wenn in diesen Kursen etwa gelehrt wird, wie fehlende Augenbrauen oder Wimpern ersetzt werden können, dann ist das sehr hilfreich, weil sie den Patientinnen in den Augen der anderen wieder unauffälliger erscheinen lassen – und wer sich selbst wieder attraktiver findet, fühlt sich besser und geht wieder unter Leute. Zudem leiden ja alle Teilnehmer unter der gleichen Krankheit und können sich gegenseitig stützen.
Also Schminken als eine Variante der Therapie. Wo stoßen diese Kurse an ihre Grenzen?
Diese Kurse ersetzen kein psychologisches Gespräch und können allein kein zerstörtes Selbstwertgefühl wieder aufbauen. Wer unter Schlaflosigkeit, Albträumen, sexuellen Störungen oder Weinanfällen leidet, braucht professionelle Hilfe. Auf alles kann man keine Maske packen.
Interview: uta
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