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„Wiederholungen vermeiden“

■ Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Helmut Simon hält das Verbot der Luxemburg-Demofür unbefriedigend und kritisiert die Verhaftung von Demonstranten, die trotz Verbots kamen

taz: Am Wochenende hat die Polizei die größte jährliche Demonstration Deutschlands, die PDS-Kundgebung zu Ehren von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, wegen einer Attentatsdrohung verboten. Gab es in der bundesdeutschen Geschichte schon einmal einen Fall, dass eine politische Demonstration dieser Größenordnung wegen der Gefahr für Leib und Leben der Demonstranten verboten wurde?

Helmut Simon: Das ist mir nicht bekannt. Ich weiß lediglich, dass in der Weimarer Zeit wiederholt Maßnahmen ergriffen wurden nicht gegen den Störer, sondern gegen den Anlass. Konkret: Es wurden Filme wie „Im Westen nichts Neues“ verboten, weil die Gefahr bestand, dass rechtsradikale Störtrupps das Kino angriffen.

Diese Praxis der Sicherheitsbehörden ist nach dem Grundgesetz unzulässig, denn das Demonstrationsrecht ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Grundrecht von hohem Verfassungsrang. Es gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen des demokratischen Gemeinwesens und hat einen ähnlichen Rang wie die Meinungsfreiheit. Maßnahmen zum Schutz von Sicherheit und Ordnung müssen sich grundsätzlich gegen den Störer richten.

Wie würden Sie angesichts dieser Einschätzung das Verhalten der Berliner Polizei beurteilen, die diese große Demonstration verboten hat?

Obwohl sich Maßnahmen zum Schutz von Sicherheit und Ordnung grundsätzlich gegen die Störer richten müssen, kann es in besonders gelagerten Einzelfällen unausweichlich sein, die Demonstration selber zu verbieten, wenn hohe Rechtsgüter wie die Unversehrtheit von Leib und Leben gefährdet sind und wenn anders kein Schutz möglich ist. Das hat wohl hier der Polizeipräsident angenommen. Die PDS hat dem offenbar auch nicht widersprochen. Vom grünen Tisch aus besteht kein Grund zu einer anderen Beurteilung.

Aber es bleibt natürlich ein unbefriedigendes Ergebnis. Denn dann hat es ein Attentäter, ein Querulant in der Hand, große Demonstrationen zu unterbinden.

Dennoch, ist es aus Ihrer Sicht auch gerechtfertigt, dass die Polizei die Demonstranten, die trotzdem kamen und die informiert waren von der Gefahr, in die sie sich begaben, dann auch noch zumindest zeitweise inhaftierte?

Das ist eine andere Frage: Wenn ich richtig informiert bin, haben sich Spontandemonstrationen gegen das Verbot gebildet. Ich denke, die Polizeikräfte, die das flexibel toleriert haben, haben richtig gehandelt. Denn es war inzwischen die Gefährdung der Demonstrationsteilnehmer ja bekannt. Sie haben es in Kauf genommen. Es bestand insoweit kein Grund mehr, durch ein Verbot sie vor dieser Gefährdung zu schützen.

Also die, die nicht inhaftiert haben, sondern das irgendwie toleriert haben...

...haben, denke ich, eher im Geiste dieses Grundrechts gehandelt.

Besteht durch solche Fälle, die jetzt durch Nachahmungstäter häufiger vorkommen könnten, und mögliche ähnliche Entscheidungen der Polizei die Gefahr, dass das Demonstrationsrecht ausgehöhlt wird, zumindest schleichend?

Wiederholungen der Berliner Entscheidung wären sehr unbefriedigend. Auf der anderen Seite muss man sich in die Lage derjenigen versetzen, die verantwortlich sind. Ich weiß aus eigener Erfahrung: Es ist eine außerordentlich scheußliche Entscheidungslage. Man kann nur fordern und wünschen, dass Wiederholungen vermieden und dass Mittel entwickelt werden, in anderer Weise den gebotenen Schutz wahrzunehmen – aber dazu reicht im Augenblick auch meine Fantasie nicht aus.

Dadurch, dass der Drohbriefschreiber nun auch noch mit Namen in Zeitungen beschrieben wurde und er so eine gewisse Popularität erhielt, besteht doch die Gefahr, dass es in Zukunft Nachahmungstäter geben wird und sich ähnliche Fälle mehren.

Diese Gefahr besteht. Andererseits hat der Täter ja inzwischen sein Ziel erreicht: Er ist bekannt geworden mit dem, was er bekannt machen wollte. Insofern ist die Gefahr von Wiederholungen durch ihn geringer geworden.

Haben Sie den Eindruck, dass diese Entscheidung für ein Verbot der Demonstration in einer Tendenz liegt, das Demonstrationsrecht generell etwas einzuschränken -–ein Beispiel ist die Diskussion über die Bannmeile hier in Berlin.

Die Berliner Verhältnisse sind mir nicht im Einzelnen vertraut, aber generell sehe ich so eine Tendenz nicht – im Gegenteil: Nicht zuletzt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist inzwischen eher ein demonstrationsfreundliches Klima entstanden. Auch bei der Polizei gibt es immer wieder das Bemühen, dass Demonstrationen durchgeführt werden können. Das hat sich inzwischen durchgesetzt und rumgesprochen. Allerdings klappt es nicht immer.

War die Polizei sogar gezwungen, die Leute, die zum Demonstrationsort dennoch kommen wollten, davon abzuhalten, den Ort zu betreten?

Ich halte es für richtig, wenn sie es nicht getan hat. Das entspricht dem Rang der Demonstrationsfreiheit.

Die PDS hat sich entschieden, gegen das Verbot der Demonstration nicht juristisch vorzugehen. Gab es ähnliche Fälle?

Die Grundsatzentscheidung des Verfassungsgerichts betraf 1985 eine Demonstration in Brokdorf. Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Aber es ist eben das Wesen der Inanspruchnahme des Rechtsschutzes, dass in solchen Fällen die Entscheidung zu spät kommt und sie nur für spätere Fälle noch von Bedeutung ist.

Ist der hohe Wert des Demonstrationsrechts hier in Deutschland eine Konsequenz aus der geschichtlichen Erfahrung einer Diktatur, in der alle Grundrechte abgeschafft wurden?

Ja. Das staatliche Handeln ist von den Vätern und Müttern unserer Verfassung strikt an die Befolgung von Grundrechten gebunden worden – gerade auf Grund der historischen Erfahrungen. Und die Grundrechte haben in unserer Verfassungswirklichkeit mehr und mehr eine erhebliche Bedeutung für die politische Kultur gewonnen. Auf diese Linie gehört auch die Demonstrationsfreiheit. Das ist eine positive Entwicklung.

Interview: Philipp Gessler

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