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Der Muezzin ruft zum Unterricht

■ Schulsenator Böger kritisiert die Zulassung der Islamischen Föderation als Religionsgemeinschaft. Jetzt darf der Verein Unterricht an öffentlichen Schulen erteilen

20 Jahre hat es gedauert. Jetzt ist die Islamische Föderation am Ziel. Der stark umstrittene Verein darf zukünftig in Berlin bekennenden islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen erteilen. Das Bundesverwaltungsgericht hat gestern die Föderation als Religionsgemeinschaft anerkannt und ihr damit dieses Recht eingeräumt. Der Sechste Senat wies eine Revision des Landes gegen eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) zurück. 1980 wollte die Föderation erstmalig Islamunterricht anbieten, war aber immer wieder an den Gerichten gescheitert. Die lange Dauer des Verfahrens wurde gestern von den Richtern als „nicht gerade beispielhaft“ bezeichnet.

Schulsenator Klaus Böger (SPD) sagte gegenüber der taz, dass er das Urteil sehr bedaure. Die Schulverwaltung werde das Urteil kritisch prüfen, genauso wie die Lehrpläne der Islamischen Föderation. „Sie müssen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.“ Die Islamische Föderation, die personell eng mit der islamistischen Organisation Milli Görüș verbunden ist, wird seit einigen Wochen vom Verfassungsschutz überwacht.

In der Begründung des Bundesverwaltungsgerichts hieß es, dass die Islamische Föderation nach dem Berliner Schulgesetz eine Religionsgemeinschaft sei. Aus bundesrechtlicher Sicht sei dagegen nichts einzuwenden.

Das Grundgesetz enthält in Artikel 7 eine Regelung, wonach Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach ist. In Berlin gilt jedoch die so genannte Bremer Klausel, nach der dieser Artikel in den Bundesländern keine Anwendung findet, in denen am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand. Danach wird der Religionsunterricht in Berlin in alleiniger Verantwortung der Glaubens- und Religionsgemeinschaften erteilt. Die Teilnahme ist freiwilig. Böger sagte, das Urteil bestätige, dass es in Berlin künftig eine neue Rechtsform für den Religionsuntericht geben müsse. Er plädiert für ein Wahlpflichtfach, wie es in den meisten anderen Bundesländern üblich ist.

Der Verfassungsrechtler Bernhard Schlink, der das Land vertrat, hatte gestern versucht, das Gericht zu überzeugen, dass die Föderation keine Religionsgemeinschaft sei. Es handele sich um einen Dachverband mit 9 Vereinen als Vollmitgliedern und 16 Vereinen als Fördermitgliedern. Dieser würde sich auch sich zum Islam bekennenden Menschen nicht öffnen. „Hier wässert ein Bekenntnis aus, weil beliebig viele Nichtgläubige hineinkommen können“, monierte er. Es mache zwar kulturell und politisch Sinn, „möglichst viele um sich zu scharen“, doch daraus ergebe sich noch lange keine Religionsgemeinschaft. Das Zentrum der Islamischen Föderation liege eher in kulturellen und nationalen Aktivitäten als im Glauben, spielte Schlink auf die Verflechtungen mit Milli Görüș an. Doch diese Begründungen nahm das Gericht in seine Urteilsfindung nicht auf, da bei einem Revisionsverfahren neue Tatsachen und Beweise nicht zulässig sind. Die Schulverwaltung hatte jahrelang versäumt, sich mit der Islamischen Föderation und ihren Inhalten und Zielen auseinanderzusetzen. Zum OVG-Verfahren trug die Schulverwaltung nichts bei, obwohl die Richter sie dazu aufgefordert hatten. Es gebe keine justiziablen Erkenntnisse, hieß es.

Die Islamische Föderation kann nach eigenem Bekunden, sobald die Lehrpläne von der Schulverwaltung geprüft worden sind, an fünf Schulen Islamunterricht anbieten. Die Schulverwaltung muss 90 Prozent der Kosten für Lehrer und Räumlichkeiten übernehmen.

Julia Naumann

Eberhard Seidel

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