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Konsens statt Konflikt

Die großzügigen Spenden der Westdeutschen Landesbank an alle Parteien waren kein Zufall. Die Berücksichtigung aller ist das Politikprinzip in Nordrhein-Westfalen

von ULRICH VON ALEMANN

Erst vor wenigen Tagen überraschte die Meldung, dass die nordrhein-westfälische CDU in den letzten zehn Jahren etwa 400.000 Mark an Spenden von der Westdeutschen Landesbank erhalten habe. Wer hätte das erwartet. Denn ist die WestLB nicht bisher durch die Medien gezogen worden, weil sie SPD-Regierungsmitgliedern zahlreiche Flüge finanzierte? Gilt sie die Bank nicht als bruchlose Fortsetzung des „Systems Rau“? Wie kann eine so sozialdemokratisch kolorierte Institution ausgerechnet die Opposition unterstützen?

Doch sind die Spenden noch gar nicht alles, was die CDU an Zuwendung erhielt. Der bisherige Fraktionsvorsitzende Linssen sitzt im Verwaltungsrat der Bank, und der CDU-Landesvorstand ließ sich gerne in das schöne Schloß Krickenbeck einladen. Es ist schon fast ein Wunder, dass nicht auch CDU-Politiker mit dem Flugservice der WestLB unterwegs waren.

Nicht alles, was hinkt,ist ein Vergleich

Bereits diese Beispiele zeigen, dass es verfehlt ist, das „System Rau“ und das „System Kohl“ als parallele Erscheinungen zu verstehen, wie es nur allzu gern geschieht. Denn nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Oder um es zu überspitzen: Noch ist nicht bekannt geworden, dass Altkanzler Kohl seine schwarzen Konten mit der SPD geteilt hätte. Das Regierungssystem in Nordrhein-Westfalen ist nur aus sich heraus zu verstehen.

Dies zeigt auch ein anderer beliebter Vergleich, der ebenfalls in die Irre geht. Oft wird angenommen, dass die CSU-Herrschaft in Bayern und die SPD-Dominanz in Nordrhein-Westfalen wesensgleich seien. Nichts könnte mehr daneben gehen. Und zwar nicht nur, weil die CSU-Macht viel tiefer reicht, viel ausgeprägter und längerfristiger ist. Die Herrschaftstechnik ist eine völlig andere. In Bayern gilt die Devise der angelsächsischen Konkurrenzdemokratie: „The winner takes all.“ Der Wahlsieger beansprucht alle politischen Posten; die Opposition geht leer aus. In Nordrhein-Westfalen ist ein anderes Modell Standard. Dort gilt das so genannte Prinzip der „Akkomodierung“. Die Opposition wird nicht ausgegrenzt. Nein, sie wird an politischen Aufgaben beteiligt.

Dieses Prinzip ist in vielen Demokratien üblich, gerade in den kleinen Staaten Europas. Am bekanntesten ist das „Poldermodell“ der Niederlande. Allerdings funktioniert die Politik der Akkomodierung in den meisten Ländern „von oben“. Die Eliten der antagonistischen gesellschaftlichen Lager verständigen sich, die Basis wird automatisch „mitgenommen“. So etwa in den Niederlanden, als sich Anfang der 80er Jahre die politischen Eliten von Sozial- und Christdemokraten mit Gewerkschaften und Arbeitgebern auf eine neue Arbeitsmarktpolitik einigten.

In Nordrhein-Westfalen ist es genau umgekehrt. Die Politik der Akkomodierung beginnt nicht oben, sondern unten – auf der kommunalen Ebene. In den meisten Großstädten wurden die Beigeordneten und Dezernenten nach dem Proporz der Parteien verteilt. Im Ruhrgebiet hat die dominierende SPD traditionell die Posten des Kämmerers und des Leiters des Rechts- und Ordnungsamtes an die CDU abgetreten. Aber auch andere Positionen gingen an die Christdemokraten, ob es Schuldirektoren oder Krankenhausspitzen, Sparkassenvorstände oder Direktoren städtischer Unternehmen waren. Zu Recht wird heute ein Rückzug der Parteien angemahnt.

Auch oberhalb der Kommunen ist das gleiche Modell zu finden. Der Münsteraner Regierungspräsident etwa gehört ganz selbstverständlich der CDU an. Dieses Prinzip der Akkomodierung erklärt auch den spezifischen Regierungsstil, der bis heute an Johannes Rau auffällt. „Politik als Dialog mit der Gesellschaft“ war seine Devise als Ministerpräsident. Rau galt als ein Meister des persönlichen Gesprächs und der informellen Rede vor kleinen und großen Foren. Der Kontakt zu unzähligen Personen wurde anlässlich von Geburtstagen, Jubiläen und Krankheiten gepflegt. Gleichzeitig hat Rau aber auch viel Zeit der „organisierten Gesellschaft“ gewidmet. Kirchen, Verbände, Gewerkschaften, Vereine, Stiftungen und sonstige Organisationen galt es zu achten und zu beachten. Und natürlich gehörten zu diesem Stil der Akkomodierung auch der WDR und eben die WestLB. Ganz selbstverständlich durfte die CDU profitieren.

Auch die CDU wurde mit Posten bedacht

Dieser spezielle Stil von Kompromiss und Proporz, von „Versöhnen statt spalten“, den Johannes Rau so virtuos beherrscht hat, ist allerdings nicht seine persönliche Erfindung. Die Akkomodierung wurde schon in den fünfziger Jahren vom CDU-Ministerpräsidenten Karl Arnold etabliert und von der SPD – zuletzt von Rau – höchstens perfektioniert. Das Modell Nordrhein-Westfalen ist ein Kind der Nachkriegszeit und des frühen Wirtschaftswunders: Kohle und Stahl waren die Schlüsselindustrien; als einflussreichste Gewerkschaft herrschte neben der IG Metall die IG Bergbau. Der Organisationsgrad lag bei fast 100 Prozent, und diese Traditionskompanie gab im Ruhrgebiet den Ton an: „Glück auf, der Steiger kommt“ spielte die Bergmannskappelle auf jedem Parteitag. Die Knappen waren eben nicht nur Kommunisten, Sozialisten oder linke (später eher rechte) Sozialdemokraten. Bei ihnen fanden sich auch viele gläubige Katholiken. Sie wurden über die CDA, die Christdemokratische Arbeitnehmerschaft, organisiert.

Für die IG Bergbau war es selbstverständlich, immer auch einen Minderheitenproporz für die Kollegen von der schwarzen Fraktion zu reservieren. Da in Nordrhein-Westfalen nichts ohne die allmächtigen Gewerkschaften lief, hat sich dieses Konsensprinzip auf die gesamte Landespolitik übertragen.

Inzwischen sind die Zeiten der Zechen jedoch vorbei. Selbst die IG Bergbau ist nicht mehr, sondern fusionierte mit der IG Chemie und residiert nun in Hannover. Das Modell Montana ist zu Ende. Wie geht es weiter in Nordrhein-Westfalen? Wird das spezifische Modell der Akkomodierung überleben? Soll es das überhaupt?

Der Kölner Politologe Fritz W. Scharpf warnt vor der „Politikverflechtungsfalle“. Sie führe zur Immobilität; die Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners verführe zur Vetopolitik. Das ist freilich nicht zwingend. Ausgerechnet das Ruhrgebiet hat sich wacker geschlagen bei der Umstrukturierung – weit besser als viele andere altindustrielle Regionen wie Pennsylvania, Lothringen oder Wallonien. Und auch das niederländische Poldermodell hat einen europäischen Idealtypus (eine Zauberformel?) kreiert, der Wachstum und Innovation, Arbeitsplätze und sozialen Ausgleich miteinander vereinbart, ohne sich dem Neoliberalismus in die Arme zu werfen. Das klingt ideal, ist es real für Nordrhein-Westfalen?

Auf jeden Fall muss das Modell Akkomodierung neu definiert werden und das System WestLB ein Ende haben. Da sind sich die nordrhein-westfälischen Parteien inzwischen einig. Gleichzeitig scheint die Opposition allerdings ganz auf das Konkurrenzmodell einzuschwenken. Nach dem Kommunalwahlen im September 1999 hat die CDU in „ihren“ Großstädten keine Beigeordnetenposten mehr an die Minderheitspartei vergeben. Auch die Polarisierungspolitik im Landtagswahlkampf weist auf Konfliktstrategie statt Konsens. Es wird sich herausstellen, ob dies die richtige Gewinn-Strategie ist. Am 14. Mai wird ausgezählt.

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