„Man darf vor Schließungen nicht zurückschrecken“

Wenn man sich weiterhin vor schmerzhaften Entscheidungen drückt, sagt der ehemalige Kultursenator Ulrich Roloff-Momin, ist Berlin auf dem besten Weg in die Mittelmäßigkeit. Er plädiert für die Schließung einzelner Institutionen und Professionalisierung der anderen. Auch wenn das zu Lasten der Mitarbeiter geht

taz: Herr Roloff-Momin, was fällt Ihnen zu Christa Thobens Rücktritt ein?

Ulrich Roloff-Momin: Mein erster Gedanke war: „Jetzt ist die ganze Misere der Berliner Kulturpolitik nicht mehr unter dem Deckel zu halten.“

Was läuft schief?

In der letzten Legislaturperiode haben sich Probleme in der Berliner Kulturpolitik aufgehäuft, die durch mehr Entscheidungsfreude vermeidbar gewesen wären. Man hätte dieses Defizit von 70 Millionen Mark nicht auflaufen lassen dürfen ...

Sie meinen, Thobens Vorgänger und Ihr Nachfolger, Peter Radunski, hätte das nicht gedurft ...

Ich rede über meinen Nachfolger ungern Schlechtes, aber wenn Sie das so sagen, dann sagen Sie das.

In Ihrem Buch „Zuletzt Kultur“ schreiben Sie über grundsätzliche Probleme der Berliner Kulturpolitik. Fühlen Sie sich bestätigt?

Ja. Das Problem ist doch, dass im Senat und im Parlament Kulturpolitik als etwas angesehen wird, das man mit mauligem Gesicht machen muss. Man begreift Kultur nicht als Chance.

Wie kann man das denn ändern?

Man muss radikal neue Rahmenbedingungen schaffen. Das Beste wäre, den gesamten Kulturetat in eine öffentlich-rechtliche Stiftung einzubringen. Dass so etwas geht, beweist ja die Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Das ist ein gewaltiger Etat, der da – und auch nur da – verwaltet wird. Mit diesen unsäglichen Überraschungseingriffen durch die Politik wäre es dann vorbei. Und man muss die Kulturinstitutionen in Zukunft wie Unternehmen agieren lassen.

Genau das – die Umwandlung von Theaternhäusern und Opern in GmbHs – hat ja auch Christa Thoben vorgeschlagen ...

Das Problem ist die Frage der betriebsbedingten Kündigungen im öffentlichen Dienst, gegen die der Senat sich gleich nach der Wende ausgesprochen hat. Es geht um die Alternative: Wohlfahrt des Einzelnen, das heißt sicherer Arbeitsplatz, oder Wohlfahrt des Ganzen – und das ist dann mit schmerzhaften Einschnitten für den Einzelnen verbunden. Ich bin für die Wohlfahrt des Ganzen.

Wo wir bei den „schmerzhaften Einschnitten“ sind: Frau Thoben hat auch Schließungen nicht ausgeschlossen.

Da bin ich ein gebranntes Kind ...

... Sie haben 1993 die Schließung des Schiller Theaters verantwortet, was Ihnen bis heute angelastet wird ...

... aber wenn Christa Thoben so eine Entscheidung getroffen hätte, hätte ich den Hut vor ihr gezogen. Wenn man Radikalkuren fordert, darf man vor solchen Dingen nicht zurückschrecken. Aber ich bin sicher, wenn Sie jetzt einem Theater zu Leibe rücken, hätte sich wieder die alte Westberliner Lobby eingefunden – und es verhindert.

Kann man denn auf Einrichtungen verzichten?

Alle Dirigenten in dieser Stadt sagen: Berlin hat zu viele Orchester – und das ist der erste Schritt zur Mittelmäßigkeit. Das hört sich paradox an, aber bei vielen Orchestern ist der Ausleseprozess unter den Musikern einfach nicht so groß. Man könnte bei weniger Orchestern mehr auf die Qualität achten. Interview: KOLJA MENSING

Ulrich Roloff-Momin war als Parteiloser für die SPD von 1991 bis 1996 Kultursenator von Berlin