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Zwischen Originalität und Fertigung

Andreas Brandolini war in den 80er-Jahren einer der Wortführer des „Berliner Designs“. Im Interview spricht er über vertane Chancen, über typisch deutsche Berührungsängste und seine Vorstellung von einer Gestaltung, die „Strukturen aufbricht“

 taz: In den 80er-Jahren wurde der Begriff „Berliner Design“ geprägt. Was bestimmte damals die lokale Atmosphäre in Westberlin?

Andreas Brandolini: In Berlin war es einfacher, ein Wir-Gefühl gegenüber dem Rest Deutschlands aufzubauen. Und wir konnten uns hier sehr leicht einer ökonomischen Realität entziehen. Der Designerpool „Berliner Zimmer“ war zwar ein Ansatz, einen wirtschaftlichen Weg zu finden, doch das war nicht konsequent genug.

Immerhin sind von dir Kleinserien produziert worden.

Das war eine persönliche Strategie. Im Rückblick glaube ich, dass die Akteure das Label „Berliner Design“ vor allem als PR-Event gesehen haben und nicht als Versuch, eine Existenz aufzubauen.

Würdest du von einer Bewegung sprechen?

Nein, dazu waren die Aktionen zu individuell. Und – ohne sie abwerten zu wollen – 80 Prozent der Sachen haben sich in einem Bereich bewegt, den ich heute als Kunsthandwerk bezeichnen würde.

Neulich waren einige dieser Stücke aus dem Nachlass des Designtheoretikers Christian Borngräber in der NGBK ausgestellt. Inwiefern hat er das „Berliner Design“ bestimmt?

Die Schriften Borngräbers und seine Aktivitäten wie etwa die Designwerkstatt bildeten eine Plattform, die ein immenser Katalysator für die Berliner Designszene war. Weitere Ansätze waren meine Seminare wie „Design-Poker“ oder „Kaufhaus des Ostens“ an der Hochschule der Künste, Herbert Weinands Möbelgalerie und natürlich das „Berliner Zimmer“.

Ich habe Borngräbers Motivation als Fortsetzung seiner Arbeit über das Design der 50er-Jahre begriffen.

Das kann man so sehen. Was wir im Gegensatz zu den 50er-Jahren jedoch verpasst haben, war der Schritt in die industrielle Produktion. Wir haben nicht gemerkt, dass wir ohne erkennbares Profil wie ein „Teller bunter Knete“ erscheinen mussten und so nicht akzeptabel waren für Kreise, die industrielles Design vermarkten. Das liegt aber auch an Deutschland, weil hier alles ideologisch verbrämt wird.

Dem ist dann auch das „Berliner Design“ erlegen?

Ja, wir haben einen Kampf begonnen, wie er in anderen europäischen Ländern nicht ausgetragen werden würde. In Italien etwa haben Erneuerungsbewegungen im Design eine lange Tradition. Dort gibt es keine Berührungsängste zwischen verschiedenen Richtungen, sondern alle Arbeiten werden als Diskussionsbeiträge verstanden. In Deutschland werden meistens eher Fronten aufgebaut.

War das Netzwerk „Rastlos“ kein Diskussionsforum für neues Design?

Doch, aber eben nur auf europäischer Ebene.

Ist Design für dich ausschließlich die Welt der Objekte und Interieurs?

Nicht nur. So bin ich etwa von der Volkshochschule Saarbrücken gefragt worden, ob ich durch Umbauten oder neue Objekte ihr Gebäude attraktiver machen könnte. Das Haus steht neben dem Saarbrücker Schloss und war in der 50er- und 60er-Jahren ein äußerst wichtiger kultureller Ort.

An diese Vergangenheit wollte man anknüpfen?

Ja, nur ist der Niedergang des Gebäudes keine Frage der Gestaltung. Wenn die VHS vor allem ein junges Publikum gewinnen will, muss sie was anbieten, was die Leute interessiert. Das ist wichtiger als irgendwelche Interieurs. Wir haben deshalb ein Programm mit anspruchsvoller elektronischer Musik zusammengestellt – also kein Techno oder so – und daraus die Reihe „Kursmusik“ konzipiert, die in diesem Sommer startet. Die Veranstaltungen werden mit Lichtinstallationen von Studenten der HBK illuminiert. Unser Ziel ist, noch andere Medien einzubringen, etwa Video und Computeranimation.

Das heißt weg vom traditionellen Kursprogramm, hin zu den Events?

Aber mit einem anderen Anspruch. Die VHS soll ein Kompetenzzentrum für Kultur werden. Und zwar für das „Volk“ und nicht für Spezialisten. Das entspricht meiner Idee von Volkshochschule.

Der gesellschaftliche Anspruch ist freilich Basis deiner Arbeit. Manche Designer reden über Material, manche über Form, du sprichst über „Strukturenaufbrechen“.

Es sind natürlich immer zwei Seiten. Zum einen arbeite ich gerne mit den Händen, zum anderen gibt es die Reflexionsebene. Wenn ich was erklären soll, neige ich dazu, einen gesellschaftlichen Zusammenhang herzustellen. Ich brauche das ganz stark zu meiner persönlichen Motivation.

Das trifft für mich besonders bei deiner Gestaltung des Gaußplatzes in Wien zu.

Eigentlich ist der Gaußplatz wie ein großes Haus, durch das sich Autos, Straßenbahnen und Menschen bewegen. Die Idee war, Räume zu schaffen und genauer zu definieren. Auf einem großen Platz kommen viele zusammen und jeder fühlt sich vom anderen gestört. Die Alten schimpfen auf die Jungen, die Jungen fühlen sich durch die Alten belästigt. Deswegen ist der Platz mit Mäuerchen so stark parzelliert. Dadurch kann jeder sozusagen in einen privateren Bereich flüchten. Soweit ich beobachten konnte, funktioniert das auch ganz gut. Im Sommer ist da immer was los.

Wie bringst du die Gestaltungsebene in solche Überlegungen rein?

Das Nachdenken über gesellschaftliche Beziehungen, die an so einem Ort stattfinden, ist auch formal ein Auseinandersetzen mit ihrer Tradition. So habe ich bewusst die Lampen, die da stehen, auf dem städtischen Bauhof ausgesucht. Das sind alte Praterparkleuchten, die aussortiert worden waren. Die bergen etwas von Park in sich und ich habe sie in den Bereich platziert, der auch grün ist.

Du implantierst gewissermaßen ein Sentiment?

Etwas Gewohntes, ein vertrautes Bild. Ich versuche oft, Dinge auf einen minimalen visuellen Wiedererkennungswert zu reduzieren, Formen zu finden, die bei den Betrachtern den größten gemeinsamen Nenner haben.

Also das Wesen eines Gegenstands herauszufiltern?

So ungefähr. Darin steckt für mich ein hoher ästhetischer Reiz. Es muss nicht zum Ausdruck kommen, wie mein Entwurfsweg war.

Wie definierst du dich: als Designer oder als Architekt?

Von den Wiener Kollegen Gregor Eichinger und Christian Knechtl gibt eine aufschlussreiche Beschreibung: „Wir bezeichnen uns als Architekten im anderen Sinn: Wir haben die Vision einer Stadtstruktur – wie eine Stadt funktionieren müsste – in die alles hineingehört, was wir entwerfen, gestalten und bauen: Buch, Film, Zeitung, Innenraum, Gebäude, Straßenbild, Sessel usw.“ Die nehme ich auch für mich in Anspruch.

INTERWIEW: MICHAEL KASISKE

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