: Rente: Daimler-Arbeiter gehen auf die Straße
■ Erster betrieblicher Protest in Norddeutschland / 400 Mitarbeiter auf den Beinen gegen Einführung einer Privatvorsorge und Senkung des Rentenniveaus
Mit Transparenten wie „Stoppt den Rentenklau“ und „Haltet den Dieb“ haben gestern Beschäftigte des Bremer DaimlerChrysler-Werkes ihrer Wut über die Rentenpläne der Bundesregierung Luft gemacht. Die Kundgebung vor dem Tor 7 in Sebaldsbrück war nach Angaben der IG Metall die erste betriebliche Protestveranstaltung im Organisationsbezirk Küste, der sowohl Hamburg und Schleswig Holstein als auch Teile Mecklenburg-Vorpommerns umfasst.
Unter dem Beifall der 400 überwiegend gewerblich Beschäftigten, die zur Mittagspause vor die Werkseinfahrt geströmt waren, warf die Bremer IG-Metall-Sekretärin Inge Lies-Bohlmann der Bundesregierung einen „Systembruch bei der Rentenversicherung“ vor. Der Entwurf von Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD), der die Einführung einer Privatvorsorge ab dem kommenden Jahr vorsieht, laufe für die Beschäftigten auf „einen dauerhaften Beschiss“ hinaus. „Alle reden von einer Senkung der Lohnnebenkosten, doch durch die Hintertür werden die Beiträge der Arbeitnehmer erhöht“, so Lies-Bohlmann. Um die Schieflage zu verdeutlichen, machte der oberste Vertrauensmann der IG Metall in der Bremer Autofabrik, Rainer Husherr, ein Rechenbeispiel auf: Danach hätte ein durchschnittlicher Daimler-Arbeiter mit einem Bruttolohn von 5.000 Mark 200 Mark weniger in der Lohntüte, wenn der geplante Kapitalvorsorgebeitrag von vier Prozent im Jahre 2008 wirksam wird.
Obwohl nur 400 von rund 9.000 Beschäftigten, die sich gestern Mittag im Werk befanden, dem Ruf der IG Metall gefolgt waren und der Protest keine Auswirkung auf die Produktion hatte, zeigten sich die Organisatoren mit der Beteiligung zufrieden. Husherr bedankte sich bei den Mitarbeitern, dass sie für die Veranstaltung auf ihre Mittagspause verzichtet hatten. Für den Großteil der Demonstranten lag die Rente persönlich aber noch in weiter Ferne. Die Teilnehmer dürften überwiegend zwischen 25 und 40 Jahren alt gewesen sein.
Der 35-jährige Michael Winkler aus dem Presswerk der Fabrik etwa meinte, dass noch viel Aufklärungs-arbeit nötig sei, um die Leute richtig zu mobilisieren. Er selbst habe sich „zuerst gar nicht vorstellen können, dass die Konsequenzen der Riester-Reform für die Arbeitnehmer so groß sind“.
Am Rande der Kundgebung wurde aber auch heftige Kritik an der Strategie der IG Metall laut. DaimlerChrysler-Betriebsrat Gerhard Kupfer warf der Gewerkschaft vor, dass sie nicht konsequent genug gegen die Rentenpläne Riesters mobilisiere. Den ursprünglich angekündigten „heißen Herbst“ habe die Gewerkschaft „in die Säle verlegt“, sagte Kupfer in Anspielung auf den offiziell inzwischen gemäßigteren Kurs der IG Metall. In der Lackiererei, wo er selbst arbeitet, sehe er ein „Mobilisierungspotential von 90 Prozent“, sollte die Gewerkschaft zu flächendeckenden Protesten aufrufen. In der Tat ging die Kundgebung vor dem Bremer Autowerk nicht auf die IG Metall sondern auf eine spontane Initiative der gewerkschaftlichen Vertrauensleute vor Ort zurück. Erst nach einer Info-Veranstaltung mit dem Bremer Rentenexperten Johannes Steffen entschlossen sich die Arbeitnehmervertreter, selbstständig eine Aktion durchzuführen und die Gewerkschaft mit ins Boot zu holen.
IG Metall-Sekretärin Lies-Bohlmann gab zu, dass es über die Proteststrategien „einen Dissens gebe“. Offiziell lädt die IG Metall am Samstag zu einer zentralen Funktionärskonferenz gegen die Rentenreform nach Hamburg ein. Dort werden auch 70 Delegierte aus Bremen erwartet, um neben einem gemeinsamen Frühstück und Mittagsbuffet mit der stellvertretenden DGB-Chefin Ursula Engelen-Kefer über Abwehrstrategien zu debattieren.
Michael Hollmann
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